Huebsch in alle Ewigkeit Roman
…«
»Ich will auch lieber nicht zu spät kommen«, sagt Vivian.
»Ja, ist besser«, sage ich. Dann umarme ich sie. »Halt die Ohren steif«, flüstere ich und gehe ebenfalls. Am Ende des Flurs drehe ich mich noch mal um. Sie steht immer noch da und schaut mir nach. Ich winke ihr ein letztes Mal zu. Dann trennen sich unsere Wege. Verflixt noch mal. Ich hab kein gutes Gefühl.
Das Summen meines Handys lenkt mich ab. Eigentlich sind Mobiltelefone hier verboten, aber ich fühle mich immer so alleine ohne Handy. Besonders wenn Vivi nicht bei mir ist. Auf dem Display habe ich nämlich ein ganz tolles Foto von uns beiden. Ich habe es einhändig aufgenommen, und wir gucken total schräg und lachen wie verrückt. Das schaue ich mir immer an, wenn ich mal keine gute Laune habe.
Ich verdrücke mich in eine der ehemaligen Toiletten, die jetzt Abstellkammern sind, und gehe ran. Es ist Ede.
»Hallo Leni, ich habe es schon ein paar Mal bei Vivian versucht, aber sie hat ihr Telefon ausgestellt.« Er klingt verzweifelt.
»Was ist denn los?«, flüstere ich.
»Stell dir vor«, sagt er, »ich muss Gut Strigoi verlassen.«
»Waass?«, rufe ich gedämpft.
»Anscheinend hat meine Mutter mich enterbt. Jedenfalls habe ich ein Schreiben vom Amt für Erbschaftsangelegenheiten bekommen, und darin steht, dass ich in ihrem Testament nicht bedacht werde und deswegen das Gut binnen vier Wochen räumen muss!«
»Nein, das kann nicht sein«, wispere ich. »Ich weiß genau, wie deine Mutter gesagt hat, dass du trotzdem alles bekommen wirst.«
»Wie, trotzdem? «, fragt er misstrauisch, und mir fällt ein, dass Elli den Satz angefangen hatte mit: »Obwohl Ede so ein schrecklicher Spießer ist und mir nie verziehen hat, hinterlasse ich ihm trotzdem alles, wenn ich mal nicht mehr bin.« Aber da ich nicht so eine taktlose Tussi bin wie Lady Shave, behalte ich das natürlich für mich.
»Na ja, sie hat uns mehrfach gesagt, dass du ihr Alleinerbe sein wirst, weil Blut nun mal dicker ist als Wasser, besonders bei Vampiren.«
»Aber wie ist das denn nur möglich?«, jammert Ede.
»Pass auf, Ede«, sage ich. »Ich guck mal im Computer nach. Mal sehen, ob ich was herausfinde.«
»Das wäre natürlich äußerst zuvorkommend von dir. Vielen Dank.« Er scheint erleichtert. Ich bin es nicht. Ich hasse es, in Sachen herumzuschnüffeln, die mich nichts angehen. Aber ich mache das ja nicht aus reiner Nächstenliebe. Wenn Ede wirklich sein Heim verlassen muss, dann weiß ich nämlich, wo er aufschlagen wird: Bei uns! Und in unserer kleinen Souterrainwohnung ist nun wirklich
kein Platz für einen öden Operettenfan und seine Astrologiebücher.
Wegen Edes Anruf komme ich zu spät an meinen Platz. Richard Brunner, mein Vorgesetzter, springt auf, als er mich kommen sieht. Seine dürre Gestalt klappert hin und her wie ein Skelett auf Speed.
»Das ist nicht korrekt, nicht korrekt«, stottert er hektisch. Er scheint mit Fehlverhalten wenig Erfahrung zu haben, so aufgeregt wie er ist. »Sie sind zu spät, zu spät!«
»Entschuldigung«, sage ich automatisch, »ich musste mal.«
Er kneift das linke Auge zusammen und mustert mich misstrauisch. » Was mussten Sie?«
Mist. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Tja, was musste ich? Es ist ziemlich unpraktisch, wenn man sich nicht mal mehr auf menschliche Bedürfnisse berufen kann. »Ich musste für Herrn Kowarsch noch was erledigen«, sage ich kurzentschlossen.
»Aha«, sagt Brunner. »Und was?«
Verdammt. Wieso will er eigentlich alles so genau wissen? »Äh, er wollte, dass ich ihm noch was zur Hand gehe.« Meine Güte, wie dämlich klingt das denn?
Brunners lachsfarbene Augen blitzen auf. »Ach so, verstehe!«, sagt er, und ich höre Lüsternheit heraus - und Bewunderung.
Mir wird klar, dass Kowarsch natürlich nicht nur zufällig mit dem Aktenordner meinen Hintern gestreift hat. Sondern dass er bekannt ist für sexuelle Belästigung, weil er damit bei seinen Lakaien auch noch prahlt. Und ich Trottel habe gerade eine seiner Trophäen aus mir gemacht!
Frustriert schleiche ich mich zu meinem Platz. Was bin ich sauer! Auf mich, auf Kowarsch, auf Ede, auf Lulu, auf den Höllenfürst, auf die Arbeit, auf alles.
»Was ist das denn? Der Aktenordner klemmt, oh, da muss ich fester ziehen«, labert Gertrud, und ich fahre sie an: »Jetzt halt doch einfach mal die Fresse.«
Sie schaut mich an, und ich erwarte irgendeine Form von Gegenwehr, aber das letzte Fünkchen Lebendigkeit ist bereits vor langer Zeit
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