Hüftkreisen mit Nancy
hatte Rodscher unterdessen in eine Art versöhnlichen Schwitzkasten genommen und klopfte ihm liebevoll auf den kahlen Schädel. Er war mehr so der haptische Typ. Rodscher rieb sich das blutunterlaufene Auge und knurrte etwas.
«Glaubst du, ich lasse hier Leute rein, die sich nicht wie ein Mann entschuldigen, wenn sie sich vergriffen haben?» Auch das zählte zu den eher leicht versteckten Botschaften.
«Ich möchte mich in aller Form bei dir entschuldigen», sagte ich dann auch zu Rodscher, «dass ich beim Griff zum Becher nicht die nötige Sorgfalt haben walten lassen und es deshalb zu dieser bedauerlichen Verwechslung kam. Ich möchte dir hier vor allen Leuten versichern, dass sich dergleichen nicht wiederholen wird und dass ich darüber hinaus,falls gewünscht, alle notwendigen medizinischen Zeugnisse beibringen kann, um etwaige gesundheitliche Bedenken deinerseits zu zerstreuen.»
Das war für Stegreif gar nicht schlecht, und Matze und Meikel, die beiden Entschuldigungsexperten, sahen sich mit einem anerkennenden Nicken an. Hatten sie wieder was gelernt. Vermutlich würde das
Krassus
in Bälde nur noch Menschen offen stehen, die ein Semester in Exkulpationsrhetorik belegt hatten.
Sascha Ramon Niekisch, der unbestrittene Meister der Realistischen Selbstverteidigung, nahm jetzt mich beiseite und wies mich darauf hin, dass Rodschers Proteinshake und mein Proteinshake nicht so gleich seien, wie ich vielleicht gedacht hätte, und dass es auch in meinem Interesse sei, nicht davon zu trinken, und überhaupt – ich sei ja kein Dummer. Keine Ahnung, was das heißen sollte.
«Äh, Kotze, Erdbeergeschmack! Schwuler rosa Tunten-Erdbeergeschmack», waren die letzten Worte von Rodscher, der gerade von seinem neuen Proteinshake getrunken hatte, bevor ich in der Umkleide verschwand. Im Spiegel vor dem Waschbecken sah ich, dass ich eine riesige Beule mitten auf der Stirn hatte. In Filmen sahen Männer nach Prügeleien immer toll verletzt aus. Ich hätte gerne auch eine blutende Augenbraue und sonst eine edle Brusche gehabt, aber nicht so eine Beule, die mich aussehen ließ wie ein nicht zu Ende verzauberter Pottwal.
15
Nach dem prekären Vorfall hatte ich wenig Lust, Rodscher allzu bald wieder über den Weg zu laufen. Sicher vermeiden ließ sich das allerdings nur, wenn ich sehr früh ins Studio ging. Am besten gleich um sieben, wenn die Türsteherjungs noch friedlich auf ihren Futons schnarchten. Die Gelegenheit war günstig. Konrad musste sowieso zehn vor sieben aus dem Haus. Dorit war noch drei Tage in Stuttgart. Ich nutzte ihre Abwesenheit und machte Mascha beim Gutenachtgeschichtelesen den «Wie wäre es, einmal morgens früh als Allererste im Kindergarten zu sein»-Gedanken schmackhaft. Das war Manipulation, aber Maschas von der Mutter ererbter Wettkampfgeist sprang sofort darauf an. Hauptsache Erste. Egal wo. Die Zukunft des Kapitalismus. Tatsächlich stand Mascha am nächsten Morgen um halb sechs vor meinem Bett. «Wir müssen los, Papa!» Ich hob die Bettdecke, sagte: «Ist noch zu früh. Erst, wenn der Wecker klingelt, Liebes!», und Mascha kletterte ins Bett. Sie lag genau zwei Sekunden still, dann musste sie mir erzählen, dass ihr Schnuffeltuch gestern Abend noch links, heute Morgen aber rechts neben dem Kissen gelegen habe, drehte sich um, begann, auf meine Wangen zu patschen, meine Augenlider anzuheben und hineinzusprechen, zupfte in meinen Ohren die Haare und hielt schließlich meine Nase mit zwei Fingern zu, um dann laut zählend zu erforschen, nach wie vielen Sekunden ich den Mund aufmachen würde. Dösen sieht anders aus.
Wir waren dann doch nicht die Ersten im Kindergarten. Irgendwelche kurz angebundenen Schichteltern mit ihren vor Schläfrigkeit noch ganz benommenen Schichtkindern waren uns zuvorgekommen. Mascha machte mir Vorwürfe. Wenn wir aufgestanden wären, als sie wach geworden sei,hätten wir es geschafft. Mama hätte recht. Man könne sich auf mich nicht verlassen. «Kriege ich denn zum Abschied wenigstens einen …», beugte ich mich zum Rohrspätzlein nieder. Nein, und es gäbe heute dann eben mal keinen Kuss, beschied Mascha, um das Maß ihrer Mutterähnlichkeit voll zu machen. Aber ich dürfe sie drücken. Ich drückte sie, und wir gaben uns die Hände.
Es war noch dunkel, als ich durch den Hausflur auf das
Fitness- und Kampfsportstudio Niekisch/Zentrum für Realistische Selbstverteidigung
zuging. Ein junger Mann mit Migrationshintergrund-Strickmütze steckte Zeitungen in die
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