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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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beiden vorbeiwackelte. Zwei Männer, die das absolute Gehör für Entschuldigungen hatten und die nicht zufrieden waren,bevor sie nicht das Hohe C der Unterwerfung vernahmen. Unwillkürlich versuchte ich, schneller zu watscheln, damit ich außer Reichweite kam. Die beiden folgten meiner Runde mit einem verstörten Blick. Sie sannen darüber nach, ob mein seltsames Tun irgendeine Aufforderung an sie enthielt, beispielsweise mich verbal herabzuwürdigen oder auf mich einzuschlagen, bis ich wieder Vernunft angenommen hätte, aber sie kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Also wandten sie sich wieder dem Resümee der letzten Nacht zu, in welchem nun die sonderbar mit ein paar Pfötchen tätowierten Brüste einer ausgesprochenen «Hammergranate» in den Vordergrund traten. Matze zückte sein Handy und präsentierte ein Foto des fraglichen Dekolletés. Sie untersuchten das Bild, vergrößerten Ausschnitt und stellten Mutmaßungen über die Spur an, die die tätowierten Pfötchen über den Körper der Dame nehmen könnten.
    Ich war mit meiner Runde fertig, die sich steifer als gestern angefühlt hatte, und legte, wie von Nancy angeordnet, ein Bein auf das Fensterbrett, um mich, wenn schon nicht schwanengleich darauf niederzulegen, wenigstens in die Richtung zu federn. Rodscher ließ die Langhantel fallen, als wolle er den europäischen Erdbebenforschern ein paar Rätsel aufgeben, und glotzte verkeucht, aber mit unverhohlener Abneigung auf meine anmutigen Versuche.
    Ich ließ mich nicht beirren. Wusste ich doch: Wer etwas anderes macht als alle anderen, gilt schnell als sonderbar. Doch nur vom Sonderbaren zum Besonderen führt der Weg des Heils! Dessen war ich gewiss. Sicher, ich konfrontierte diese muskelbepackten Türsteher mit einem Bewegungsspektrum, das sie nicht ohne weiteres in das Bild konventioneller Männlichkeit einfügen konnten. Aber Nancy würdedoch keinen Schabernack mit mir treiben und mir weibische Übungen verordnen? Was, wenn sie eine Betrügerin war? Ich musste an die vielen Coaching-Opfer unter meinen Freunden und Freundinnen denken. Zuvörderst Verena. Meine bestimmt drittgrößte Liebe. Niemand hat je sorgfältiger vor dem Zubettgehen die Brille fortgelegt und sich blinzelnd umgewandt, verlegen gelächelt, als wäre sie ohne Brille auf fast schon unzumutbare Weise nackt. Sie fiel eines Tages einer Farbberaterin in die Hände, die sie auf das abstoßendste umkleidete und dann zu einem Coaching-Guru schleppte. Plötzlich achtete Verena auf positive Schwingungen, entwickelte positive Ziele, benutzte nur noch positives Vokabular ohne nein und nicht, ohne schlecht und widerlich, was es bei unserem letzten Essen beinahe unmöglich machte, dem Kellner zu bedeuten, dass die Spargelcremesuppe einen Stich hatte. Von außen sah sie noch aus wie vorher, aber innen drin war alles, was sie liebenswert und in ihrer Unbeholfenheit sogar hinreißend gemacht hatte, verschwunden, ausgelöscht. Kurz darauf trennte sie sich von mir, weil ich so «desktruktiv» war. Zehn Tage lang starrte ich auf die Stelle, wo sie nachts ihre Brille abgelegt hatte, und dann radelte ich zur Videothek, um meine Liebe zur untot Gecoachten zu verarbeiten, indem ich mir seufzend Steve Martins «Der Mann mit den zwei Gehirnen» 1 ansah.
    Oder der überraschend alkoholfrei gewordene Bert mit seinen Meditationskursen, der plötzlich immer wertschätzend und friedliebend mit einem sprach und hoch über uns normalen Gefühlsflummis schwebte. Wir hatten ihn schon aufgegeben, als er sich auf einer Party beim gewaltfreien Öffnen einer Erdnussdose schnitt, fluchte, wütend darüber wurde, dass er geflucht hatte, die halb offene Dose auf den Boden feuerte, noch wütender über seine Wut wurde, die vor ihm liegende Dose als «Scheißdose» anbrüllte, sie wegtrat und, da jetzt wutmäßig sowieso schon alles egal war, gekrümmt in der Küche stehend noch eine Weile «Verschissene, beschissene Scheißkackdose!!!» brüllte, während wir im Wohnzimmer ungläubig hinüber lauschten und schließlich erleichtert die Bierflaschen gegeneinanderklonkten. Er war wieder einer von uns – den Unausgesteuerten.
    Wenn Nancy also meinte, dass Reichtum, Beliebtheit, Zufriedenheit nur Nebenprodukte und keine Hauptsachen wären, dann hatte sie mehr verstanden vom Leben als alle sauteuren Karrierebeschleuniger oder Tiefenentspanner. Den Beinbeuger auf dem Fensterbrett zu dehnen war jedenfalls kein unangemessenes oder verstiegenes Ziel. Das sprach für Nancys

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