Hühner Voodoo (German Edition)
«Guter Mann. Viel Geld.»
Ewa schüttelte bedauernd den Kopf. «Nix kenne Mann für Sie.»
Judiths Hand rutschte von Ewas Schulter, und ihr Blick war jenseits von empört. Dachte diese kleine impertinente Person etwa, sie, Judith Kallmeyer, fragte ein bemaltes Püppchen nach einem Mann?
«Unverschämtheit!», murmelte sie. Sie holte tief Luft, öffnete die Tür zu Ernsts Büro, schubste Ewa leicht hinein und rief: «Ernst, ihr habt eine neue Mitarbeiterin!»
Was nun passierte, war schlichtweg kitschig.
Ewa sah Ernst an.
Ernst sah Ewa an.
Und Judith war sich nicht sicher, ob das Adrenalin, dass durch Ewas dreiste Annahme von ihren Nebennieren ausgeschüttet wurde, das Klingeln in ihren Ohren verursachte oder ob es das Glockengeläut war, das ganz offensichtlich Ernst und Ewa hörten. Hier fand gerade Liebe auf den ersten Blick statt. Judith schüttelte sich leicht. Wie unangenehm, so etwas mit ansehen zu müssen.
Aber musste sie ja nicht. Sie konnte einfach gehen.
Und sie tat es. Allerdings mit sehr gemischten Gefühlen.
Auf dem Weg zurück zum Finanzamt sagte sie sich immer wieder, dass es ja genau das war, was sie wollte, nämlich Ewas Aufmerksamkeit von Frederick weglenken. Und Ernst war ihr ja egal. Es war zwar empörend, dass er, wo er sich doch als ihr Freund fühlte und sie beide sozusagen bereits verlobt waren, sich so Hals über Kopf in eine Andere verlieben konnte, aber sie hatte ein viel größeres Problem: Aus welchem Grund konnte sie fortan ins Bestattungsinstitut gehen? Erst als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß, fiel es ihr ein. Aber natürlich: Um einen Freund zu besuchen. Ernst war ab jetzt ganz offiziell ein guter Freund. Sie hielt inne. Ach so! Ernst war mit Sicherheit auch der Grund, weshalb sich Frederick ihr gegenüber so zurückhaltend verhielt. Er war ein Gentleman. Er hatte selbstverständlich angenommen, dass Ernst und sie ein Paar waren. Sie lächelte. Das erklärte alles. Nun war der Weg für eine gemeinsame Zukunft mit Frederick geebnet. Sie musste ihm nur noch sagen, dass mit Ernst Schluss war, dass sie nun wieder frei war. Frei für ihn.
Ernst Lehmann war im siebten Himmel. Und das schon seit fast zwei Wochen. Das Gefühl, das er jedes Mal hatte, wenn er Ewa sah oder an sie dachte, wollte gar nicht abflauen. Ganz im Gegenteil. Es wurde eher stärker. Das war es. Das war die Liebe, von der er gehört hatte. Es fühlte sich großartig an. Viel besser als irgendetwas anderes jemals zuvor. Interessanterweise fehlte diese Angst, die er generell vor Frauen hatte und vor Judith ganz besonders, bei Ewa völlig. Liebe ist also, wenn man keine Angst vor jemandem hat. Für einen kurzen Moment zögerte er. Bedeutete das etwa, dass er seine Mutter nicht liebte? Nein, das konnte nicht sein. Schließlich sagte sie ihm ja oft genug, wie sehr er sie liebte und dass er alles für sie tun würde. Hm. Aber für Ewa würde er mehr tun.
Und Ewa tat auch viel für ihn. Sein Büro war das sauberste im ganzen Haus. Mit Abstand. Ewa sollte eigentlich die Büros erst nach Feierabend putzen, aber Ernsts Büro putzte sie den ganzen Nachmittag über in stündlichem Rhythmus. Herr Ackermann hatte ihr mehrfach erklärt, dass es ungünstig war, wenn man einen Raum putzte, solange noch jemand drin war. Aber Ernst hatte ihm versichert, dass es ihn nicht störe. Und nun durfte sie Ernsts Büro putzen, wann immer ihr danach zumute war.
Aber was war nun mit Judith? Er kannte die Spielregeln nicht. Er hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, sie hatte weder ja noch nein gesagt. In welcher Beziehung standen sie nun zueinander? Waren sie verlobt? Hatte sie bemerkt, dass er sich in Ewa verliebt hatte?
Judith, die ihn nach wie vor besuchte, schien es nicht zu stören, wenn Ewa in seiner Nähe war. Im Gegenteil, sie war sehr nett zu Ewa, plauderte mit ihr, wobei das in diesem Fall mit sehr wenig Erfolg gekrönt war. Ewas Deutschkenntnisse ließen sehr zu wünschen übrig. Für ihn kein Problem, Ewa und er verstanden sich auch ohne Worte.
«Du solltest sie mal zum Abendessen einladen», sagte Judith zu ihm, nachdem Ewa sein Büro verlassen hatte.
«Ewa arbeitet doch abends immer.»
«Anschließend natürlich. Essen muss sie ja.»
«Das würde dich nicht stören?»
«Nein? Wieso sollte es?»
«Nun ja, weil …»
Judith fiel ihm ins Wort. «Wir beide sind gute Freunde. Und gute Freunde stehen dem Glück des anderen nicht im Weg. Ich weiß, dass dir Ewa gefällt.»
Ernst sah Judith mit tiefer Dankbarkeit an.
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