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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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weggekommen, und jetzt das!«
    »Wie sah es denn aus?«
    »Was?«
    »das Rad natürlich.« Pieplow bemühte sich um Geduld.
    »Ach so. Ja, grau. Oder eher grau-braun.«
    »Marke?«
    »Diamant. Ein grau-braunes Diamant-Damenrad.«
    »Wie alt?«
    »Warten Sie, es hat meiner Mutter gehört. Anfang der Siebziger wird sie’s gekauft haben. Wenigstens so ungefähr. Ist aber alles noch dran. Und der Gepäckträger ist neu, aus Silber. 17,90 Euro hat der gekostet, Herr Wachtmeister!«
    Auf Pieplows Block stand Damenrad, Diamant, grau-braun, dreißig Jahre alt, neuer Gepäckträger, chromfarben. Er flüchtete in die Floskel »Wir kümmern uns drum«, um die Frau endlich loszuwerden, und wollte sich Wichtigerem zuwenden.
    »Aber Sie haben meinen Namen noch gar nicht aufgeschrieben!«, rief sie ihm empört hinterher. Er murmelte einen unverständlichen Fluch, schrieb den Namen zu den anderen Angaben. Und hatte die Angelegenheit zwei Minuten später vergessen.
     

     
    Wo sich in Schaprode die schmale Straße am Hafen zu einem kleinen Platz weitet, fuhren in Minutenabständen die Streifenwagen aus Trent, aus Gingst und Ummanz vor. In den Maschinenräumen der Vitte und der Gellen begannen die Dieselmotoren wieder zu dröhnen und schoben die Schiffe in Richtung Kaimauer. Über die Lautsprecher wiederholten die Kapitäne ihre Anweisungen. Ruhe bewahren, langsam zum Ausgang, nicht vordrängen, Ausweise bereithalten.
    Wie viel davon befolgt würde, musste sich noch zeigen. Fast vierhundert Menschen ließen sich nicht ohne weiteres aufhalten, vor allem dann nicht, wenn der Urlaub zu Ende war und man es noch weit bis nach Hause hatte.
    Inzwischen mochten es zwanzig Polizisten sein, die Ausweise entgegennahmen, Personalien notierten und Kinder ihren Eltern zuordneten. Sie ließen sich den Inhalt von Koffern, Reisetaschen und Rucksäcken zeigen. Ihre Lederhandschuhe schützten vor scharfkantigen Muscheln, schmutziger Wäsche und klebrigen Proviantresten, wenn sie in Gepäckstücken wühlten, von denen sich viele nach der Inspektion kaum noch schließen ließen.
    Niemand nahm Notiz von den drei Männern, die mitten im größten Durcheinander ein Wassertaxi bestiegen.
    »Was für ein Chaos«, stellte der jüngste von ihnen zufrieden fest. »Wie auf der Titanic vorm Untergang. « Zum Schutz vor der aufspritzenden Gischt ließ er mit einem Stirnrunzeln seine Sonnenbrille vom Haar auf die Nase gleiten.
    »Das wird noch besser«, unkte der zweite im anschwellenden Motorenlärm. Er stellte einen klobigen Metallkoffer auf die seitliche Fahrgastbank, als sie mit hohem Tempo davonbrausten. »Auf der Insel können noch gut und gern dreitausend Leute sein, die nach Rügen wollen. Oder besser gesagt, müssen, weil sie sonst die Nacht im Freien verbringen werden. Um diese Jahreszeit findest du auf Hiddensee nicht mal mehr in einem Bretterschuppen ein freies Bett.«
    »Hauptsache, es kommt etwas Vernünftiges dabei heraus. Ich hab wenig Lust für diesen Aufriss den Kopf hinzuhalten, wenn das Kind in zwei Stunden plötzlich wohlbehalten wieder da ist«, knurrte der dritte.
    »So ist das, wenn man Chef ist, Chef«, feixte sein bebrillter Kollege.
    Er kann einem auf den Senkel gehen mit seiner guten Laune, dachte Hauptkommissar Henrik Schöbel verdrossen. Hoffentlich übernehmen die Stralsunder, dann bin ich die Verantwortung los.
    Bei einem Kapitalverbrechen würde eine Sonderkommission gebildet werden, bei der er nur in zweiter Reihe mitzuarbeiten brauchte. Schöbel fuhr sich mit der Hand über das rötliche krause Haar und über den verspannten Nacken. Im Hals knackte es unheilvoll, als er langsam den gesenkten Kopf hin und her pendeln ließ. Das war nichts für ihn. Über ein Kapitalverbrechen an einem Säugling nachzudenken fand er so grauenvoll, dass er sich fast wünschte, er dürfte für ein paar Hundert verpasste Anschlusszüge die Verantwortung übernehmen.
    Kästner stand schon am Anleger, als das Wassertaxi längsseits an die Hafenmauer manövrierte. Er begrüßte zuerst Schöbel mit Handschlag. Man kannte sich. Das Findelkind an Himmelfahrt vor zwei Jahren. Die Aktion im vergangenen Sommer wegen der Korruptionsgeschichte. In beiden Sonderkommissionen war der rothaarige Bergener dabei gewesen. Kindsaussetzung und Wirtschaftskriminalität. Und heute etwas, das aussah wie eine Entführung. Kästner ahnte, dass die Übergabe, mit der er jetzt auf der Fahrt vom Hafen zum Süderende den Fall an Schöbel übertrug, in ein paar Stunden wiederholt

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