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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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gehört hatte. Ein paar Mal waren sie schon von unten heraufgekommen. Dann hatte Leonie aufgehört zu schreien. Auch wenn die Geräusche fremd und bedrohlich waren, sie brachten vielleicht doch das richtige Gesicht.
    Es war jedes Mal das falsche gewesen. Falsche Haare, falsche Augen, falsche Stimme. Nicht die, nach der Leonie verzweifelt schrie.
    Da waren Hände, unter denen die Angst ins Grenzenlose wuchs. Kalte, unsichere Hände, die sie so ungeschickt aufnahmen, dass ihr Kopf weit nach hinten fiel, die sie an ein Herz pressten, das schnell und hart schlug. Hände, die ihr etwas Fremdes, Glattes in den Mund schoben, an dem Leonie gierig sog, bis eine klebrige, heiße Flüssigkeit in ihren Mund floss, an der sie sich den Gaumen verbrannte. Trotzdem schnappte sie nach dem Finger, der sich behutsam zwischen ihre Lippen legte, und begann zu saugen. Aber es gab nur ihre eigene Spucke, in der sich feine Krumen zu einer mehligen Paste auflösten. Als Leonies Kiefer sich von dem Finger löste, machten Zunge und Lippen ein kleines schmatzendes Geräusch.
    Sie begann wieder zu schreien. Die Hand blieb über ihrem Gesicht, bis das Weinen leiser wurde, schwächer, ein Wimmern, lang gezogen wie in großer Erschöpfung. Ein tiefer Seufzer hob ihren Brustkorb, dann entspannte sich das Gesicht. Die Hände, eben noch zu festen Fäusten geballt, sanken neben dem Kopf auf die nasse Unterlage. Bevor sie einschlief, erschien ein Lächeln um den halb geöffneten Mund. Die Angst war vorüber. Leonie neigte den Kopf leicht zur Seite, als ob dort gleich das Lied der Spieluhr klingen würde.
     

     
    Eigentlich wie immer, dachte Pieplow. Gegen Abend ruhiges Wetter, auf den Pfählen im Hafenbecken Möwen und über den Masten der Segler ein wolkenloser Hochsommerhimmel. Wäre da nicht das Summen von ein paar hundert Stimmen, aus dem mal ein Ruf oder ein wütendes Brüllen, seltener ein Lachen aufstieg, während sich die Menschen Richtung Fähranleger drängten. Auf dem Platz vor der Vitter Fischhalle türmte sich der Müll vieler Wartestunden um überfüllte Abfallbehälter. Das Vier-Uhr-Schiff war nicht ausgelaufen, das um halb sechs auch nicht. Drüben in Schaprode gingen die Kontrollen nicht schnell genug voran. Jetzt schob sich die Vitte in Position, um die nächste Ladung Ausflügler an Bord zu nehmen, und alle wollten mit. Aber erst mit der Gellen würden auch die letzten Besucher die Insel verlassen können.
    Pieplow wechselte das Standbein und hakte die Daumen im Uniformgürtel ein. Weit draußen in der Fahrrinne machte er einen hellen Punkt aus, der schnell näher kam. Zwei Minuten noch, höchstens drei, schätzte er, dann würde man das Schnellboot der Wasserschutzpolizei erkennen können.
    Er sah zur Uhr. Zwei Minuten nach sieben. Jetzt begannen die Kollegen drüben in Zingst mit der Kontrolle der zurückkehrenden Tagesausflügler. An Tagen wie diesen, mit viel Sonne und wenig Wind, wagten sich auch die Landratten zwei Stunden aufs Wasser, die sonst schon bei Inselrundfahrten seekrank wurden. Gut und gerne dreihundert Passagiere waren dann an Bord der Sundevit. Aber die Zingster hatten genug Zeit gehabt, sich aus Barth, aus Prerow oder Ahrenshoop Verstärkung zu holen. Wenn alles reibungslos lief, konnten zwei Stunden reichen und dreihundert Personendaten wären erfasst.
    Das Anlegemanöver des Polizeibootes wirbelte das Hafenwasser auf. Das dröhnen der Motoren scheuchte die Möwen von ihren Pfählen und ließ sie in weitem Bogen einen ruhigeren Rastplatz anfliegen.
    Ein dicker kleiner Mann kletterte mühsam von Bord. Pieplow musste an Danny deVito denken, wegen des schütteren Haares auf dem fleischigen Kopf und wegen der Hektik, die der Stralsunder verbreitete.
    »Ostwald. KK 11. Irgendwas Neues?« Er streckte Pieplow die Hand entgegen.
    »Nein«, antwortete Pieplow. »Wenigstens nicht, dass ich wüsste. Aber ich stehe hier auch schon eine Weile. Vielleicht hat sich inzwischen …« der Rest des Satzes blieb in der Luft hängen. Er glaubte ja selbst nicht, was er da sagte.
    Die beiden anderen vom Polizeiboot hießen Klewe und Beer. Oder so ähnlich. Ostwald ließ keine Zeit zum Nachfragen.
    »Auf jetzt!«, drängelte er. »Fürs Rumstehen werden wir nicht bezahlt.«
    Auf dem kurzen Weg zwischen Hafen und Rathaus fühlte sich Pieplow wie ein Prüfungskandidat. Wer war zuerst am Tatort gewesen? Waren Spuren gesichert und Fotos gemacht worden? Gab es Zeugen? Er war erleichtert, als er Hauptkommissar Ostwald an Schöbel abtreten

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