Huehnerhoelle
Die âºMünstersche Lebenâ¹ warb mit zahnblitzenden Gesichtern einer intakten Familie für ihre Risikolebensversicherung.
»Wie heiÃt gleich noch mal Ihr Pressefritze im Ort mit Namen?«, wandte sich Kevin an den Wirt.
»Der Leichwart? Meinen Sie den? Der heiÃt Teichwart. Also mit richtigem Namen. Was hat denn der Leichwart damit zu tun?«
Doch bevor Kevin Werner Kock das frisch veröffentlichte Tatortfoto des örtlichen Pressefotografen auf seinem Smartphone-Display zeigen konnte, wurde plötzlich an die noch halb offene Tür geklopft.
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Hochgewachsen, honigblondes, schulterlanges Haar, helle (vor allem: hellwache) graue Augen in einem schmalen ovalen Gesicht â die schlanke Gestalt einer etwa vierzigjährigen Frau zeigte sich im Rahmen. Hufelands Blick haftete augenblicklich an ihr wie eine Fliege am lockenden Klebstreifen.
»Entschuldigung«, sagte die Frau mit marmeladenweicher, dunkler Stimme, die bei Hufeland sämtliche Saiten zum Schwingen brachte. »Werner, du wirst am Telefon verlangt. Geht um die Bestellungen für nächste Woche. Der Lehmann von der Brauerei sagt, er will mit dir die Posten durchgehen. Jetzt.« Sie klang selbstbewusst und fordernd.
»Hast du ihm nicht gesagt, dass wir einen Trauerfall in der Familie haben, Hanne?«, gab Kock genervt zurück.
»Doch, sicher.« Die Frau, die Hanne hieÃ, rollte ein wenig mit den runden, rauchgrauen Augen. »Es täte ihm zwar leid, sagt Lehmann«, fuhr sie sachlich fort, »er hätte von der ⦠der Sache mit Wilhelm schon im Radio gehört. Aber er kann den Zeitplan nun mal nicht ändern. Behauptet er.«
Sie schenkte jetzt auch Hufeland einen interessierten Blick, der ihn verunsicherte wie einen Fünfzehnjährigen. Sie lächelte (wollte ihm scheinen) und verschwand so überraschend schnell aus dem Türrahmen, wie sie darin erschienen war. Als sie die Zwischentür zum Schankraum öffnete, jedoch nicht vollständig wieder schloss, stieà auf einmal deutlich aus dem allgemeinen Kneipenlärm der Schmettergesang einer ganz annehmbaren Bassstimme hervor: »Ich wollt, ich wär ein Huuuhn. Und hätt nicht viel zu tuuun. Ich legte täglich mal ein Ei â¦Â« Beim Nachsatz: »und sonntags auch mal zwei«, brüllte die ganze Gemeinde mit wie im Affenchor.
Werner Kock sprang plötzlich wütend auf. »Das muss ein Ende haben!«, schalt er. »Schluss mit dem Theater! Ich schmeià sie alle raus!«, brüllte er. »Alle Mann raus«, wiederholte er wütend und stürzte hinaus in den Flur und zurück in den Schankraum.
Doch es kam nicht zu dem angekündigten Donnerwetter und dem Rauswurf der Vennebecker Sangesbrüder durch den Wirt. Nur ein paar aufgeregte Wortwechsel mit einzelnen Gästen waren zu vernehmen, die den Gesang zwar abwürgten, aber der Stimmung ansonsten nicht schaden konnten. Sollten wirklich einige Gäste das Lokal verlassen haben, dann freiwillig und nicht mit Rücksicht auf den Wirt des Hauses. So hörte es sich jedenfalls für die beiden im Tanzsaal zurückgebliebenen Polizisten an.
Werner Kock war auf Anhieb kein unsympathischer Zeitgenosse, schloss Hufeland, aber er hatte ein Rückgrat wie ein nasser Schwamm. Nett, aber unverbindlich, freundlich, aber die Fahne immer nach dem aktuellen Wind gestellt. Solche wirbellosen Typen konnten dich zur Verzweiflung treiben.
Gleich darauf kehrte der Wirt zurück in den Tanzsaal. »Wissen Sie was? Ich lasse Ihnen die Karte bringen«, bot er den Polizisten in einem Anfall von Altruismus an. »Unsere Speisekarte! Hierher in den Saal. Da können Sie in Ruhe essen, wenn Sie wollen.«
»Gute Idee!«, sagte Hufeland. »Danke.« Er hatte Hunger, Kevin sowieso. Vor allem aber hoffte er, Hanne, die Kellnerin, würde es sein, die ihnen die Karte brächte.
Werner Kock entschuldigte sich, dass er wieder fort müsse. »Die Bestellung für nächste Woche, Sie verstehen«, sagte er hastig und verschwand im Flur um die Ecke.
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»Speisekarte. Entschuldigung. Essen Sie ganz in Ruhe! Blabla. Will der uns einlullen oder will der uns einlullen mit seiner Speicheltour?«, sagte Kevin und kniff misstrauisch die Brauen zusammen.
»Ich denke, du hast Hunger«, erwiderte Hufeland. Und dachte wieder an die phosphoreszierenden Augen der Kellnerin.
Doch wer kurz darauf mit zwei Speisekarten in der Hand, einer
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