Huehnerhoelle
Strand entlangjagenden Jeep überfahren worden wäre. Grit hatte ihn in letzter Sekunde zur Seite gerissen. Und wenn er jetzt darüber nachdachte, hatte es am Strand sogar gestunken. Pestilenzialisch. Nach Verwesung.
Um kurz nach elf erreichte er Vennebeck.
Kevin Kuczmanik, der schon auf ihn wartete, hatte ihn bereits per Handy vorgewarnt, dass rund um den Friedhof weit und breit keine Parkmöglichkeit mehr bestehe. »Der Parkplatz ist voll wie ne Sardinenbüchse! Ich stehe vor dem Brooker Hof. Hab einen Platz für Sie frei gehalten.«
»Danke, Kevin.« Alle Achtung, der Junge war auf Draht.
War er wirklich. Als Hufeland auf den Brooker Hof zufuhr, sah er zuerst den roten Micra des kleinen Kuczmanik und gleich daneben ihn selbst breitbeinig und mit verschränkten Armen vor den Brüsten eine komfortable Parklücke vor dem Wirtshaus gegen alle Angreifer verteidigen, die da kommen mochten.
Er parkte ein und registrierte, dass auch rund um die Ortskirche kein Parkplatz mehr frei war.
»Die ganze Gemeinde ist schon am Friedhof«, sagte Kevin. »Die Totenmesse war kurz und schmerzlos.«
Zumindest für den Toten, dachte Hufeland. Er sog die Luft ein und stellte erleichtert fest, dass heute kein Hühnergestank über Vennebeck hing.
»Heute steht der Wind mal günstig«, lachte Kevin, der anscheinend seine Gedanken erraten hatte. Manchmal war er geradezu unheimlich.
Sie hasteten den Weg von einigen hundert Metern bis zum Friedhof vorbei an einer endlosen Schlange Autos entlang der schmalen StraÃe. Die milde, noch leicht wärmende Novembersonne über den Köpfen, stapften sie den linken Hauptweg des Friedhofs hinunter, drangen jedoch nur so weit vor, dass der hochgewachsene Hufeland über die anwesenden Massen hinweg die Bestattung eben noch verfolgen konnte.
Hunderte waren gekommen. Es herrschte eine Stimmung wie bei einem FuÃballspiel, wenn die eigene Mannschaft vier zu null vorn liegt. Mit sichtlich zufriedenen Gesichtern, heiteren Mienen, manche wirkten geradezu euphorisch, verfolgten die Leute das Geschehen. Kein Vennebecker, der auf sich hielt, wollte es offenbar verpassen, wenn der eichene Sarg des Hühnerbarons Wilhelm Kock für immer versenkt wurde.
Vor dem mit grünen Kunstgrasmatten ausgelegten und mit Kränzen und Blumenstöcken geschmückten Erdloch stand in vollem Ornat der Priester mit einem offenen Gebetbuch in der Hand. Ihm waren sie kürzlich schon begegnet, zusammen mit dem alles segnenden alten Pater, erinnerte sich Hufeland. Flankiert wurde der etwas korpulente Mann von stabdünnen, noch jugendlichen Messdienern im gleichen weiÃ-violetten Outfit. Der Pfarrer sprach ein Gebet, wie es aussah, verstehen konnte man ihn von hier aus nicht.
Der Sarg war bereits ins kühle Grab hinuntergelassen worden. Die Kock-Familie stand ganz in Schwarz daneben und blickte mit gesenkten Häuptern und unergründlichen Gesichtern auf den Patriarchen dort unten hinab. Bruno Kock mit seiner blassen Frau, das Kind im Arm wie die Muttergottes. Werner Kock und seine Frau Margit, die stämmige Wirtin. Daneben Silke Kock, steif und aufrecht wie ein Stock â stocknüchtern oder stockbesoffen war nicht ganz klar.
Unweit vom Grab, vor einer der haushohen Tannen im Hintergrund, entdeckte er jetzt eine dünne, hoch aufgeschossene Gestalt, einen spindeldürren Mann in den Vierzigern, der fleiÃig und ungeniert Fotos schoss. Kein Mensch schien sich daran zu stören, als wäre er der Haus- und Hoffotograf der Kocks. Oder so etwas wie âºVennebecks Augeâ¹.
Makaber an der Szene war nicht nur die unübersehbare Schar der zufrieden blickenden Vennebecker; Hufeland erkannte jetzt auch Wagner und Kamphues, die im zweiten Hauptgang drüben zusammenstanden und angeregt schwatzten. Schicksalhaft ironisch erschien ihm vor allem die Tatsache, dass der Hühnerbaron nun genau dort bestattet wurde, wo man ihn ermordet hatte.
»Wo findet eigentlich der Leichenschmaus statt?«, wollte Hufeland von Kevin wissen.
»Bei Werner Kock. Im Brooker Hof«, wusste der.
Hufeland hatte genug.
Gehört und gesehen.
Sie machten sich besser rasch vom Totenacker, um im Brooker Hof zu sein, bevor die Trauergemeinde dort einfiel.
41
Doch das war leichter gedacht als getan. Die Massen rückten vom Eingang des Friedhofs zunehmend dichter zusammen. Wenn sie schon nichts sehen konnten, wollten sie wenigstens ein paar der
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