Huete dich vor deinem Naechsten
mir die Passagiere in der Kabine vor, die zu einem traumhaften Ziel unterwegs waren und ihr Leben frei von Kummer und Sorgen führten. Die Art von Traurigkeit, unter der ich litt, war ihnen fremd. Der Wunsch, mich hoch über mein Leben zu erheben, eine andere und woanders zu sein, manifestierte sich als körperlicher Schmerz, als Vakuum in meinem Bauch.
Egal, wohin man geht, man nimmt sich immer mit. Dieser Satz stammte natürlich von Fred und zählte zu seinen klassischen Sprüchen. Fred kam zu mir heraus und setzte sich neben mich ins Gras. Ich zeigte ihm die Flugzeuge und erklärte ihm, wie gern ich dort oben wäre. »Dir selbst entkommst du nicht«, sagte er. »Und wenn du dich auf den Kopf stellst. Du kannst alles probieren - Drogen, Alkohol. Am Ende wachst du immer als du selber auf.«
»Er nicht. Mein Vater.«
Fred verstummte und musterte mich eindringlich. »Selbstmord ist keine Lösung, sondern das Ende.«
»Woher weißt du das?«
Er schwieg so lange, dass ich kaum noch mit einer Antwort rechnete. Dann sagte er: »So genau weiß ich es nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass ein Akt, der Leben und Hoffnung zerstört und nur Trauer und Wut zurücklässt, nicht das Richtige sein kann.«
Ich schwieg. Ich konnte nicht in Worte fassen, dass ich seinen Gedanken unbefriedigend und unlogisch fand. Dass Selbstmord vielleicht der einzige Ausweg war, wenn man erkannt hatte, dass man sich selbst nicht entkam und nicht mehr mit sich leben wollte. Vielleicht ist das Ende eine Lösung.
»Willst du ein Eis?«, fragte er da.
»Okay.«
Vielleicht war es die gleiche Sehnsucht, die meinen Mann antrieb. Dieses brennende, krankhafte Verlangen, ein anderer, an einem anderen Ort zu sein. Vielleicht hat er sich ausgesucht, in die Haut eines anderen zu schlüpfen, den Namen eines anderen anzunehmen, ein fremdes Leben zu leben. Das war weniger endgültig als Selbstmord, es war ein Akt der Hoffnung. Überall ist es besser als hier.
Wenige Stunden zuvor waren wir zu Jacks Haus zurückgekehrt, um einen Geldumschlag aus dem Versteck unter der Matratze zu holen. Über die nächsten Schritte war er sich weniger klar als ich.
»Du weißt nicht einmal, ob er wirklich auf deine Frage geantwortet hat. Er lag im Sterben. Vielleicht hat er dich nicht einmal gehört.«
Aber für mich stellte sich die Sache anders dar. Ehrlich gesagt war mir, als er das Wort »Praha« aussprach, ein Licht aufgegangen, als hätte ich es die ganze Zeit geahnt. Jack wollte mir nicht glauben. Warum sollte er sich, nach allem, was geschehen war, auf meine Instinkte verlassen? Ich musste ihn überzeugen.
»Marcus wird nicht in den USA bleiben. Es ist unmöglich. Er hat seine Tarnung abgelegt, und jetzt will er nach Hause.«
»Das kannst du nicht wissen. Hast du nicht gesagt, er würde Tschechien hassen und nie wieder zurückgehen?«
»Eine andere Möglichkeit bleibt ihm nicht.«
»Das kannst du nicht wissen«, wiederholte Jack.
»Er wird untertauchen. Er wird seinen alten Namen Kristof Ragan wieder annehmen und ungehindert ausreisen. Die kennen seine wahre Identität nicht. Er wird untertauchen. Sie werden ihn niemals finden. Gibt es zwischen den USA und der Tschechischen Republik ein Auslieferungsabkommen?«
Jack warf mir einen verständnislosen Blick zu. »Woher soll ich das wissen?«
Die andere Wahrheit war, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich ihn sonst hätte suchen sollen. War es ein Zeichen von Ratlosigkeit, als ich das nächste Flugzeug nach Prag bestieg, um meinen Mann zu finden? Ja. Aber damals sah ich das nicht so.
Obwohl ich nervös war und es eilig hatte, zwang mich meine Erschöpfung, mich auf Jacks Bett fallen zu lassen, während er Klamotten in einen Seesack warf - Jeans, Unterwäsche, ein paar alte Kleidungsstücke von mir, die ich nach einer Party hier vergessen hatte, ein Paar Turnschuhe, das hier stand, seit wir das letzte Mal zusammen durch den Central Park gejoggt waren. Wenn ich die Augen schloss, sah ich den sterbenden Fremden. Und mein verwüstetes Apartment. Jack verließ das Zimmer und kam mit seinem Rasierzeug zurück.
»Ich habe dir eine Zahnbürste eingepackt.«
»Wir fahren nicht in den Urlaub.«
»Du kannst nicht ohne Gepäck nach Europa fliegen. Das sieht verdächtig aus.«
Jack verfügte über gesunden Menschenverstand. Ich hatte immer Angst, wenn er meine Bücher las. »Das verstehe ich nicht«, sagte er dann, »wie ist sie von da nach dort gekommen?« Oder: »Wie hat er sie in dieser riesigen
Weitere Kostenlose Bücher