Huete dich vor deinem Naechsten
wie ein Kleinkind, und Emily schmollte. Doch Linda fand, dass Margie das Loslassen damals ein bisschen zu leicht gefallen war, dass sie sich früher zu oft und zu sorglos von ihnen getrennt und manchmal abwesend gewirkt hatte, obwohl sie da war. Izzy teilte Lindas Einschätzung nicht, denn ihre Erinnerung an diese Zeit war eine ganz andere.
Linda hatte sich in ihrer Familie oft einsam gefühlt und glaubte, immer zu kurz gekommen zu sein. Ihre Therapeutin meinte, dass sie aus diesem Grund so überfürsorglich war, wenn es um Trevor und Emily ging. Es stimmte, dass Linda seit Emilys Geburt keinen Morgen erlebt hatte, an dem sie nicht aus dem Bett gesprungen wäre, um sich unverzüglich um die Kinder zu kümmern. Niemals hatte sie einen Vormittag mit ihrem Mann im Bett verbracht, niemals waren sie ohne Zeitdruck ausgegangen. Niemals. War das normal? Linda wusste es nicht. Die meisten ihrer Freunde, allesamt Berufstätige oder Künstler, hatten sich für nur ein Kind entschieden. Die meisten beschäftigten Kinderfrauen oder Au-pair-Mädchen, junge Europäerinnen, die sich im Idealfall in die Familie einfügten wie ältere Schwestern.
Linda wusste, dass ihre Freundinnen ihre Kinder liebten. Aber manchmal kam es ihr vor, als würden nur sie und Erik sich als Vollzeiteltern begreifen. Sie organisierten ihre Berufstätigkeit um Emily und Trevor herum und stellten die eigenen Bedürfnisse zurück - oder ab. Was war richtig? Wer war besser dran? Sie wusste es wirklich nicht, wusste nur, dass sie nicht anders konnte.
Sie glaubte, irgendwo gelesen zu haben, dass das Gesicht, das man aufsetzt, sobald das Kind ins Blickfeld kommt, einer der wesentlichen Faktoren für die Entwicklung des kindlichen Selbstbewusstseins ist. Glücklicherweise konnte sie ihr Entzücken kaum verbergen, wenn sie Trevor oder Emily ansah. Ihre Gesichter, der Klang ihrer Stimmen, ihre Leistungen - von den ersten Schritten, dem Sauberwerden und den schulischen Erfolgen bis hin zur persönlichen Entwicklung - erfüllten Linda mit mehr Stolz und Freude als alles andere in ihrem Leben.
Aber dieses Gefühl erinnerte sie an ihre eigene Kindheit und an den Gesichtsausdruck ihrer Eltern, ihre schweifenden Blicke, ihr Starren in die Ferne, ihr Stirnrunzeln. Es hatte nicht direkt ihr gegolten, aber die Gesichter ihrer Eltern wirkten grundsätzlich traurig. Und Linda hatte es nie geschafft, sie aufzuhellen.
Das ging ihr durch den Kopf, als Erik in Begleitung von Margies Anwalt, John Brace, zurückkam. John war der Sohn von Brace senior, der Fred jahrelang vertreten hatte, inzwischen aber zu alt und gebrechlich war, um mitten in der Nacht zur Polizeiwache zu fahren. Der jüngere Brace wirkte abgebrühter und weniger wie ein Gentleman als der Vater. Eine harte Nuss. Sein regloses, blasses Gesicht war kantig. Linda beobachtete ihn, während er leise auf Erik einredete. Sie hielt den Mann für einen Wolf: aggressiv, furchtlos, einsam. Es war gut, perfekt, genau so einen brauchten sie jetzt.
Die Männer kamen auf sie zu, und Linda umarmte Erik länger und intensiver, als es im Beisein eines Fremden schicklich war. Sie bemerkte, dass Brace sich diskret abwandte.
»Ist schon gut«, sagte Erik und streichelte ihren Rücken, »alles ist in Ordnung.«
Brace räusperte sich, woraufhin sie sich zu ihm umdrehten. »Das ist fraglos eine sehr emotionale Zeit für Sie. Aber wir haben viele Baustellen. Ihr finanzieller Verlust. Ihre Schwester, die wir irgendwie erreichen und zur Rückkehr bewegen müssen. Eventuell haben Sie sich selbst strafbar gemacht. Wir müssen uns überlegen, wie wir Sie am besten schützen können. Wo können wir uns in Ruhe unterhalten?«
»Es ist spät«, entgegnete Erik. »John, lassen Sie uns das morgen besprechen.«
»Ich halte das für keine gute Idee. Wer weiß, was bis dahin passiert? Wir sollten vorbereitet sein.«
Erik sah müde und nervös aus. Er nickte. »Zu Hause«, sagte er. »Lassen Sie uns nach Hause fahren.«
»Nein«, widersprach Linda eilig. Als sie das Krankenhaus verlassen und die Kinder ins Taxi gesetzt hatte, war Ben verschwunden. Aber sie musste davon ausgehen, dass er sich in der Nähe des Lofts herumtrieb, um ihnen dort aufzulauern.
»Lassen Sie uns in irgendein Café fahren. Das Orlin ist gleich um die Ecke. Da haben wir unsere Ruhe, außerdem bin ich am Verhungern.«
Erik schien nicht damit einverstanden zu sein, gab dann aber nach.
»Gut«, sagte er und nahm Lindas Hand. »Okay.«
Brace nickte unsicher und warf
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