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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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jeden Preis haben wolltest. Sie hat gesagt, du hättest mich verpfiffen und alle Versprechen gebrochen, die du ihr gegeben hast. Wir haben die Drecksarbeit für dich erledigt. Sie hat dir Zugang zu seinem Apartment verschafft, zu seinen Konten und Passwörtern und allen Unterlagen. Und ich habe ihn beseitigt und die Leiche verschwinden lassen. Und du? Du hast nur das Geld abkassiert.«
    Kristof lächelte. »Ach komm, Ivan. Sie lügt. Sie ist sauer, weil ich sie nicht mehr will. Du weißt doch, wie das bei mir mit den Frauen ist. Ich langweile mich schnell.«
    »Wer dann?«
    »Woher soll ich das wissen? Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Aber jetzt kann ich dir helfen. Ich habe Geld - eine Menge Geld. Und was meins ist, ist auch deins. Du bist mein Bruder.«
    Er klopfte dem Hünen auf die Schulter, aber Ivan drehte sich nicht um. Kristof wusste, es war zu spät.
    »Wohin fahren wir, Ivan?«
    »Da sind ein paar Leute, die mit dir reden wollen.«
    »Welche Leute?«
    »Freunde von mir.«
    Kristofs Gedanken überschlugen sich. Wie käme er aus der Sache wieder raus? Ivan hatte die Türen verriegelt. Kristof war unbewaffnet und Ivan körperlich unterlegen. Er würde mitspielen müssen.
    »Ich habe mich immer um dich gekümmert und dich immer geliebt«, sagte Ivan. Er sah so traurig aus.
    »Ich weiß.«
    Kristof schaute aus dem Fenster und sah die vorbeifliegende Landschaft aus Beton, den stahlgrauen Himmel. Ivan fuhr schnell und schwieg. Kristof hörte nicht einmal, wie Ivan nach seiner Waffe griff und ihm einen kräftigen Schlag gegen die Schläfe verpasste. Alles verschwamm vor seinen Augen. Als Nächstes konnte er sich erinnern, wie er mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten, harten Pflaster lag, umringt von Ivan und seinen behandschuhten, schwarz gekleideten Freunden. Die Zusammenkunft ließ nichts Gutes ahnen, und sie ging auch nicht gut aus.
     
    Daran dachte er, als er über das holprige Kopfsteinpflaster der alten Karlùv most lief, der Prager Karlsbrücke. Er dachte an die vielen Stunden der Anspannung und an seine endgültige Flucht, die ihm nur aufgrund von Tricks gelungen war, die ihm hauptsächlich Sara beigebracht hatte. Sie wussten, dass er sich möglicherweise retten müsste, falls etwas schieflief, und sie hatten sich darauf vorbereitet. Beim Gedanken an Ivan, an das Lagerhaus und die letzten Momente auf dem Anleger schaute er sich unwillkürlich um.
    Die Brücke war voll von Touristen, die Fotos von den mächtigen Heiligenfiguren knipsten - Franz von Borgia, Johannes Nepomuk, die heilige Anna, der heilige Josef - oder sich über die Brüstung beugten, um die Schwäne auf der grauen Moldau zu betrachten. Die Brücke wurde 1357 erbaut. Heute spazieren die Leute mit Limo und I-Pod darüber. Er nahm es ihnen nicht übel, freute sich sogar über die Menschenmassen, denn so blieb er unsichtbar.
    Er kam am Altstädter Brückenturm vorbei, einem riesigen, gotischen Bauwerk, das seine keilförmige Spitze in den Himmel reckte. Trotz der Kälte hatten es sich die Touristen davor bequem gemacht, um Eis zu essen. Die Geschäfte, die die Straße säumten, boten Holzspielzeug, tschechisches Glas, T-Shirts, Filme und Schokoriegel zum Kauf.
    Er bog nach links ab und kam an einer sehr beliebten Filiale von Bohemia Bagel vorbei, bevor er sich unvermittelt abseits der Hauptwege allein in einer engen Gasse wiederfand. Zu seiner Rechten lag ein Hof hinter einem hohen Eisentor, zu seiner Linken zweigte eine dunkle Gasse ab. In einer schwarzen Pfütze entdeckte er einen Damenschuh. In der Gasse war es so still, als existierten die belebten Straßen nicht, die doch kaum dreißig Meter entfernt lagen. So war Prag. Man geht um eine Ecke und steht im Mittelalter, so als hätte man durch ein Tor eine andere Zeit betreten.
    Er war vorläufig zu Hause und in Sicherheit. Alle Bedrohung war vorerst gebannt. Die Straßen von Prag hießen den verlorenen Sohn willkommen, ließen ihn in ihrem rätselhaften Grau verschwinden, umarmten ihn mit Sandsteinarmen und versteckten ihn, egal, was er im Rest der Welt verbrochen hatte. Hier zählte es nicht. Prag war ihm die Mutter, die er nie gehabt hatte.
    Er schlüpfte durch den Seiteneingang des Hauses, in dem Beethoven während seiner Pragreise komponiert hatte. Damals hatte es das »Haus zum Goldenen Einhorn« geheißen. Kristof fand die Vorstellung sehr romantisch, obwohl er die Echtheit der Geschichte sehr bezweifelte. Heute befanden sich in dem Gebäude schicke Eigentumswohnungen mit

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