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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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der Männer genau, konnte aber keine Regung erkennen, weder Angst noch Reue. Sie beachteten Fred nicht länger, so als wären sie Gewalt und Blutvergießen gewohnt.
    »Sag uns einfach, wo er ist. Und dann …« - Ivan zuckte die Achseln und deutete zur Tür - »verschwinden wir.«
    Ich hatte die Fähigkeit zu kommunizieren verloren. Das Szenario überschritt den Rahmen meiner Erfahrungen, und nie im Leben hätte ich mir etwas Ähnliches ausdenken oder schreiben können. Niemand hatte mich auf diese Situation vorbereitet. Ich schaute zu Fred, dann wieder zu Ivan. Er lächelte mich freundlich an, aber es wirkte finster, bedrohlich.
    »Der ist nicht tot«, sagte er leichthin. Er zeigte auf Fred, dann auf seine eigene, kantige Stirn. »Der Kopf. Blutet schnell, weißt du.«
    Um es mir zu demonstrieren, ging er zu Fred und trat ihm sanft in die Rippen. Ich war überglücklich, meinen Stiefvater vor Schmerzen stöhnen zu hören und seine Augenlider flattern zu sehen. Ich kroch zu ihm zurück, spürte sein Blut an meinem Rock und legte ihm eine Hand an die Stirn; sie war kühl und feucht. Ich schaute zu den drei Männern auf.
    »Sie suchen Marcus?«, brachte ich endlich heraus. »Ich habe keine Ahnung, wo er ist.«
    Ivan musterte mich eindringlich, er schien sich ein Bild von mir machen und den Wahrheitsgehalt meiner Worte abschätzen zu wollen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass die Zeit verrann. Das Handy steckte in meiner Rocktasche. Ob es mir gelingen würde, unbemerkt einen Notruf abzusetzen? Fred brauchte dringend Hilfe.
    »Er hat mich betrogen und bestohlen«, sagte Ivan wütend, fast trotzig. »Er hat versucht, mich umzubringen.«
    Mit der freien Hand hob er sein Hemd hoch, um mir den Verband an seiner Brust zu zeigen. Beängstigend viel Blut - sehr rot auf dem weißen Mull - war herausgesickert. Ich bemerkte den Schweiß auf seiner grauen Stirn. Hatte ich ihn schreien hören? Einer seiner Kollegen zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich an die Wand. Der Qualm stieg mir in die Nase. Ich steckte eine Hand in meine Rocktasche, aber Ivan schüttelte langsam den Kopf. Ich zog die Hand wieder heraus.
    »Er hat mich auch betrogen«, sagte ich schließlich. Wir hätten uns über alles Mögliche unterhalten können - die instabile Wirtschaftslage, das Wetter, die Schwerkraft, über Mächte, die stärker sind als wir und die unser Schicksal bestimmen. Auf einmal wurde ich wütend.
    »Schaut mich doch an!«, schrie ich, und alle drei zuckten zusammen. Die vermeintlichen Brüder hoben das Gewehr. Der Raucher ließ die Zigarette fallen. Ich wies auf meinen Kopf. »Jemand hat mich verletzt. Eine große Frau, sie war blond, aus Tschechien, so wie ihr. Sie hat Marcus’ Büroeinrichtung zertrümmert, und mein Apartment ebenfalls. Die haben mir alles gestohlen. Glaubt ihr, wenn ich wüsste, wo er steckt, wäre ich ausgerechnet hier ?«
    Ivan überlegte. Ich bemerkte eine große Narbe an seiner Stirn und Schwielen an seinen Händen. Ich schrie immer noch, weil ich verstanden werden wollte.
    »Psst, psst«, machte er, als wollte er ein weinendes Kind trösten. Und da merkte ich, dass ich tatsächlich weinte. Die Tränen liefen mir über die Wangen. Ich wischte mir das Gesicht mit dem Ärmel ab. »Nicht schreien.«
    Ich begriff, dass er mich nicht schreien hören wollte, dass meine Tränen ihn verunsicherten. Er schien von der begriffsstutzigen Sorte zu sein, nicht direkt zurückgeblieben, aber fraglos mit einem sehr niedrigen IQ. Er wirkte wie ein großes Baby, ein bisschen ungeschickt. Wie ein geschlagenes Kind, das gelernt hat, sich wegzuducken. Auf einmal kam mir sein Gesicht sehr bekannt vor, die rot geränderten Augen, die Mundwinkel. Ich musste an Marcus’ Album denken. War ein Foto dieses Mannes darin gewesen? Hatte ich ihn schon einmal gesehen?
    »Sie war groß. Fast so groß wie Sie, blond, grüne Augen«, fügte ich leise hinzu. »Sie kannte Marcus«, sprach ich weiter, als er nicht reagierte.
    Er nickte bedächtig, seine Stirn legte sich in tiefe Falten, und seine Miene verfinsterte sich.
    »Wissen Sie, wen ich meine?«
    Er nickte wieder, aber diesmal in Richtung seiner Freunde. Er sagte etwas auf Tschechisch, das ich nicht verstand. Die beiden Männer schauten mich kurz an, und ich fragte mich, ob ich nicht einen riesigen Fehler begangen hatte. Ich hatte ihnen verraten, was sie wissen wollten, und jetzt waren Fred und ich für sie nicht mehr von Nutzen. Ich hatte gepokert und verloren. Ich schloss die Augen.
    Als

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