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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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endlich die Augen zu öffnen -, bis die Polizei und die Sanitäter eintrafen. Ehe ich mich versah, wurde Frank auf einer Trage in den Krankenwagen geschoben. Ich kletterte ebenfalls hinein, und dann rasten wir ins Krankenhaus. Dort warteten noch mehr Polizisten auf uns. Fred wurde auf der Trage davongerollt.
    Ich fühlte mich wie betäubt und wollte ihm folgen, weil ich fürchtete, er müsse nur meinetwegen sterben. Eine Stimme in meinem Kopf sagte immer wieder: Das passiert gar nicht wirklich. Wach auf!
    Ein Polizist begann mich zu befragen: Was ist passiert? Woher stammte mein Kopfverband? Konnte ich die Männer beschreiben, die meinen Stiefvater überfallen hatten? Ich fragte nach Detective Crowe. Er wurde angerufen. Man brachte mich in einen Warteraum.
    Ich wartete und lief unruhig auf und ab. Meine Nervosität hatte die Müdigkeit besiegt. Ich konnte nicht still sitzen, konnte nicht aufhören, über die Geschichte meiner Ehe nachzudenken und sie auf Lücken und Widersprüche abzuklopfen. Ich würde sie finden, die Hinweise, die Anhaltspunkte für den schurkischen Charakter meines Hauptdarstellers, der mit gezücktem Messer hinter dem Vorhang wartete.
    Aber nein. So einfach ist es nicht im Leben. Ein Mensch besitzt viele Facetten, und alle davon sind wahr. Marcus war mein Ehemann. Er hatte recht - wir waren gute Freunde und ein überdurchschnittliches Liebespaar gewesen. Damals hatte es der Wahrheit entsprochen, auch wenn es jetzt keine Rolle mehr spielte.
    Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ein junger Arzt eintrat. Er erklärte mir, Fred habe einen Streifschuss am Kopf erlitten, der die Haut über dem Ohr verletzt, den Schädelknochen aber verfehlt habe. Er hatte viel Blut verloren, würde die Attacke jedoch überleben. Ein Glückspilz. Und dann stand plötzlich Detective Crowe mit gezücktem Notizbuch und teurem Stift vor mir und nahm meine Aussage auf, an die ich mich kaum noch erinnern kann. Ich fragte mich, wie er es so schnell ins Krankenhaus geschafft hatte. Er erklärte mir, er habe sich in Inwood aufgehalten, um das Apartment von Charlie Shane zu durchsuchen, meinem Portier, einer weiteren vertrauten Person in meinem Leben, die anscheinend nicht die war, für die ich sie hielt. Sie hatten in der Wohnung nichts finden können, aber Charlie blieb verschwunden.
    Ich kann mich vage erinnern, Detective Crowe den Überfall auf Fred geschildert zu haben. Sah ich Zweifel in seiner Miene, während ich erzählte?
    »Isabel.« Wieder diese Freundlichkeit. »Was verschweigen Sie mir?« Sein Stift schwebte über dem Papier.
    »Selbstverständlich nichts«, erwiderte ich empört.
    Ich spürte die Intensität seines Blicks. »Seien Sie nicht albern«, sagte er leise und kam ein Stück näher.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    Er machte eine kleine, unangenehme Pause, während der ich die Gelegenheit hatte, meine Finger in dem schrecklichen Neonlicht zu betrachten. Ich beobachtete die lautlos vorbeieilenden Krankenschwestern, lauschte auf das unaufhörliche elektronische Summen eines Telefons, das von allen ignoriert wurde.
    »Wissen Sie, was mich allmählich ärgert?«, fragte er schließlich.
    »Was?«
    »Ständig laufen Sie rein zufällig irgendwelchen unappetitlichen Leuten über den Weg - Halunken, die sich als FBI-Agenten ausgeben, osteuropäischen Schlägertypen -, und jedes Mal kommen Sie ungeschoren davon. Tote und Verletzte pflastern Ihren Weg.« Wieder einmal wurde der Gentleman-Cop poetisch.
    Einen Augenblick lang hing ich seinem Wortspiel nach, das ich - Berufskrankheit - auf seine Stimmigkeit überprüfte. Ungeschoren : ohne Verletzungen oder Schaden erlitten zu haben.
    »Ich würde nicht behaupten, ich sei ›ungeschoren davongekommen‹, Detective. Ganz im Gegenteil.« Ich deutete auf meinen Kopf, dachte aber an meine seelischen Verletzungen, an mein zerstörtes Leben, an die Lüge, als die meine Ehe sich herausgestellt hatte.
    »Im Großen und Ganzen«, fügte er schulterzuckend hinzu. »Ich wollte damit bloß sagen, dass ich nicht verstehe, warum diese Leute Sie am Leben lassen. Wir sprechen hier von gewissenlosen Menschen, von Mördern und Dieben. Deswegen frage ich mich: Warum leben Sie noch?«
    Das war eine gute Frage; sie beschäftigte mich auch, ich hatte sie sogar meiner Schwester gestellt.
    »Haben Sie eine Theorie?«, erkundigte ich mich frech, ohne meine Unsicherheit verbergen zu können.
    »Eine Theorie besagt, dass Sie mehr mit der Sache zu tun haben, als wir ahnen. Dass

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