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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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nach ihrer Einreise hatte Ivan Verbindung zu zwei Brüdern aus der Albanermafia aufgenommen. Sie verübten kleinere Delikte, überfielen Bankkunden an Geldautomaten und lockten albanische Mädchen mit Modelambitionen ins Land, die von Crystal Meth abhängig wurden und in heruntergekommenen Striplokalen endeten. Aber Ivan verdiente Geld, viel Geld, obwohl er im Grunde ein großes Kind mit beschränktem Verstand war. Wenn sie einen Klub oder ein Restaurant besuchten, war es immer Ivan, der die Rechnung bezahlte.
    Auf der langen Zugfahrt nach Brooklyn fragte er sich, warum er in dieses Land gekommen war, was er hatte erreichen wollen. Er wollte kein kleiner Angestellter bleiben, der nach der Pfeife eines anderen tanzt, ein Firmensklave, der im Krankheitsfall um die Erlaubnis bitten muss, zu Hause bleiben zu dürfen, und dessen knappe Freizeit sich auf die wenigen Stunden zwischen den zermürbenden Arbeitstagen und einen zweiwöchigen Jahresurlaub beschränkt. Mit einem Mal schien ihm, als hätte Ivan, den er immer für dumm und faul gehalten hatte, es genau richtig gemacht.
    Als er nach Hause kam, lag Ivan unter zahllosen Fast-Food-Verpackungen auf dem Sofa. Er hatte sich die Hose aufgeknöpft und starrte gelangweilt in den Fernseher. Ivan atmete gleichmäßig wie ein Schlafender, obwohl er wach war. Er hob die Hand zum Gruß.
    »Ivan«, sagte er, knallte die Tür hinter sich zu und stellte seine Laptoptasche neben Ivans Füße. Das Apartment war ein Dreckloch - das Sofa kam vom Sperrmüll, der alte Tisch und die Stühle waren aus Plastik und die Fenster mit Bettlaken verhangen. Die Matratzen lagen auf dem Boden. Die Wohnung war nicht mehr geputzt worden, seit er vor etwa einem Monat die Geduld verloren und etwas gegen den Dreck unternommen hatte. Aber nun war es ihm egal. »Ich habe nachgedacht.«
    »Worüber hast du nachgedacht?«, fragte Ivan apathisch. Der riesige Sony-Fernseher und zahlreiche andere Geräte - eine PlayStation, eine Anlage mit Boxen, ein DVD-Player - nahmen eine ganze Wand ein. Ivan mochte nicht täglich duschen, aber wenn es um Unterhaltungselektronik ging, verstand er keinen Spaß. Woher die Geräte ein paar Wochen zuvor gekommen waren, ob sein Bruder sie gekauft oder gestohlen hatte, wusste er nicht. Es interessierte ihn auch nicht.
    Er erzählte Ivan von Marcus Raine und von seiner Idee. Ivan lachte sich schlapp. »Seit Jahren sage ich dir, dass du zu viel arbeitest und zu wenig verdienst. Warum hast du plötzlich deine Meinung geändert? Ein hübsches Mädchen?«
    Er konnte nicht sagen, warum er seine Meinung geändert hatte. Damals dachte er, es gehe ihm um Camilla, um sein Verlangen nach ihr. Aber nein, so war es nicht. Es war, als hätte er keine Lust mehr, gegen den Strom seines Lebens anzuschwimmen. Er hatte aufgehört zu strampeln und zu rudern und ließ sich treiben. Ivan schüttelte sich vor Lachen, schlug ihm auf den Rücken und gratulierte ihm zu der neuen Einsicht. Und dann machten sie sich an die Arbeit. Das Ganze schien so lange her zu sein - war es auch. Das alles hatte in einem früheren Leben stattgefunden. Damals war er ein anderer Mann mit einem anderen Namen gewesen.
     
    Camilla war schön, selbst als Tote. Er stand über ihren reglosen Körper gebeugt und erinnerte sich an ihre warme Haut, und wie feucht sie immer geworden war. Er stellte sich vor, dass sie das Böse in ihm gespürt hatte, davon aber nicht abgestoßen, sondern angezogen worden war. Aber er hatte sich geirrt. Als sie ihn durchschaut, als den erkannt hatte, der er war, hatte sie sich von ihm abgewandt.
    Er kniete nieder, schob den Kragen ihres weißen Hemds beiseite und sah die Spitze ihres BHs, der ihre vollkommenen Brüste bedeckte. Immer lobte man die sinnliche Schönheit der Französinnen und Italienerinnen. Von den Tschechinnen mit den fein geschnittenen, herben Gesichtszügen und den sehnigen Körpern sprach kaum jemand. Vielleicht lag es an ihrer fehlenden Wärme, ihrer Unnachgiebigkeit - sie waren wie Prag. Im Vergleich zu Prag sah Paris blass aus. Aber Prag war höchstens einen Abstecher wert, die meisten Amerikaner verirrten sich nur wenige Tage dorthin, wenn sie durch Europa reisten. Niemand träumte so von Prag wie von Paris. Paris funkelte und tanzte für sein Publikum, die Stadt hob ihre Röcke und gab ihre Schätze der Welt preis. Prag blieb in den Kulissen und distanziert und erlaubte den Zuschauern nur einen flüchtigen Blick auf seine perfekte Schönheit.
    »Ich hätte dich schon vor langer

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