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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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würdest es nicht verstehen.«
    Seine Stimme klang verändert, rau und kalt, wie aus einem tiefen Abgrund herauf. Ich wusste nichts über meinen Mann, und wenn man mich gefragt hätte, wäre mir kein einziger Grund für all das Böse eingefallen, das er getan hatte.
    Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden, zwei Fremde, die sich aus einem früheren Leben kannten. Als er einen Schritt auf die Tür zu machte, wollte ich ihm folgen. Aber er hob den Revolver, und ich erstarrte. Ich betrachtete sein Gesicht wie einen kalten, fernen Stern. Er hätte ohne zu zögern geschossen, hätte mich auf der Stelle erschossen und liegen lassen. Die Erkenntnis traf mich so tief, dass ich den Schmerz nicht wahrnahm.
    »Isabel. Folge mir nicht.« Diesen Tonfall kannte ich. Väterlich. Kompromisslos. »Fang neu an. Vergiss mich. Das schaffst du.«
    Ich glaube, ich lächelte ihn an. Dann regte sich unter der dünnen Schicht meiner Taubheit eine unglaubliche Wut, die alle Liebe vernichtete, die ich jemals für ihn gefühlt hatte. Die Verwandlung geschah innerhalb von Minuten, nein, von Sekunden.
    »Wenn du denkst, du kommst davon, hast du dich geschnitten. Ich werde dich finden, und wenn es mich umbringt.«
    Ich entdeckte etwas in seinem Gesicht - ob es Ärger, Angst oder Mitleid war, wusste ich nicht. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, änderte dann aber seine Meinung. Ich versuchte nicht, ihn aufzuhalten, als er durch die Tür ging, schloss ich die Augen und wünschte ihn zum Teufel. Als ich sie wieder öffnete, war er weg.
     

ZWEITER TEIL
    TOTER PUNKT
     
     Auch Glück und Unglück beruhen auf Handlung.
  Die Menschen haben wegen ihres Charakters
  eine bestimmte Beschaffenheit,
  und infolge ihrer Handlungen
  sind sie glücklich oder nicht. Aristoteles, Poetik
     
     Einen Roman zu schreiben ist
  wie nachts Auto zu fahren.
  Man sieht nicht weiter,
  als die Scheinwerfer reichen,
  aber so legt man die ganze Strecke zurück.
    E. L. Doktorow
     
     

VIERZEHN
    D u willst mir sagen, es gibt keine neuen Tage?«, fragte Trevor. Er war noch ziemlich jung. In jedem Fall zu jung für eine existentialistische Krise. »Nur die alten Tage, die sich ständig wiederholen, für immer?«
    Sein Gesicht drückte so etwas wie Horror aus, als könnte er nicht fassen, dass das Leben so banal war und so wenige Überraschungen barg. Linda hatte mich beauftragt, einen Nachmittag auf ihn aufzupassen, während sie sich mit ihrem Agenten traf und Erik und Emily einen Vater-Tochter-Ausflug unternahmen. Trevor und ich hatten geplant, in den Schachladen am Washington Square zu gehen und uns anschließend eine kalorienreiche Zwischenmahlzeit zu gönnen, die ihm seine Eltern niemals erlaubt hätten. Er war damals etwa fünf Jahre alt.
    Wir hatten fast eine Stunde im Schachladen verbracht und uns Schachfiguren in allen Größen und Formen angesehen - Drachen und Zauberer, Figuren aus Alice im Wunderland , Schlümpfe, mittelalterliche Höflinge. Wir entdeckten kunstvolle Bretter aus Glas, Marmor, Speckstein, Metall und Plastik. Letztendlich entschied Trevor sich für ein schlichtes Holzbrett mit handgeschnitzten Figuren. Trev, der Purist. Er hielt die Tüte mit seinem Schatz fest umklammert, als wir uns auf dem Washington Square neben den Blitzschachspielern auf eine Bank setzten. Die Blätter verfärbten sich schon, die Studenten der NYU liefen mit schweren Rucksäcken herum, ein paar Jugendliche übten Skateboardsprünge, und ein Obdachloser klapperte laut mit seiner Blechdose.
    »Aber woher willst du das wissen? Du kannst nicht wissen, was für immer passiert«, sagte Trevor, vernünftig wie immer. »Niemand kann das.«
    Ich zuckte die Achseln und bekam das volle Gewicht meiner Unzulänglichkeit zu spüren. Ich konnte es ihm nicht erklären. »So ist es nun mal, Kumpel.«
    Es blieb eine kleine Hoffnung bestehen, wir könnten eines Morgens nicht an einem Dienstag oder Sonntag aufwachen, sondern an einem Lil atag oder Marshmallow tag. Und dann wäre alles anders. Vielleicht würde die Schwerkraft abnehmen, so dass uns alles ein bisschen leichter vorkäme, vielleicht würde die Sonne rosa scheinen und uns alle hübscher aussehen lassen.
    »Diese Abschnitte in der Zeiteinteilung haben sich die Menschen ausgedacht«, versuchte ich Trevor zu erklären. Eigentlich konnte er mich unmöglich verstanden haben, aber er sah mich nachdenklich an und sagte: »Die Tage sind immer gleich, weil irgendjemand es so festgelegt hat, um die Ordnung nicht

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