Huete dich vor deinem Naechsten
alles genommen, und nun will er sich davonstehlen.«
»Schätzchen«, sagte Erik, »es ist so oder so verloren. Wir fangen von vorn an.«
»Nein.«
Ich trat einen Schritt zurück. Erik sah den Revolver in meiner Hand, seufzte und verdrehte die Augen, so als hielte er ihn für ein Spielzeug und mich für ein bockiges Kind.
»Sag denen, ich hätte dich mit einer Waffe bedroht«, sagte ich mit zitternder Stimme. Ich klang ein bisschen durchgeknallt. »Sag ihnen, ich hätte mich geweigert, mit dir zu gehen.«
Erik schüttelte den Kopf und lächelte mich ungläubig an. »Ach komm, Izzy, hör auf damit.«
»Ich mag dich sehr. Du bist ein toller Ehemann und Vater.«
Er wusste, dass ich ihm niemals wehtun könnte, und ich wusste, dass er es wusste. Trotzdem spielten wir die Szene zu Ende. Er starrte mich an und wich dann zurück, beide Hände wie zur Kapitulation übertrieben in die Höhe gereckt.
»Es hat nicht gereicht. Er wollte nicht bei uns bleiben. Wir haben ihm nicht gereicht.«
Erik blinzelte. Er ahnte, dass ich nicht über Marc sprach. »Izzy, es geht hier nicht um deinen Vater. Die beiden sind nicht dieselbe Person!«
Ich hängte mir Camillas Tasche über die Schulter.
»Iz, was soll ich den anderen sagen? Der Polizei? Linda, den Kindern?«
»Die Wahrheit. Sag ihnen die Wahrheit. Ich habe dich mit der Waffe bedroht, und jetzt mache ich mich auf die Suche nach meinem Mann.«
»Die Polizei denkt inzwischen, du könntest etwas mit der ganzen Sache zu tun haben. Wie soll ich sie vom Gegenteil überzeugen, wenn du jetzt wegläufst?«
»Sie haben recht. Ich bin so schuldig wie jede Frau, die alle Hinweise und ihr Bauchgefühl ignoriert.«
»Mädchen, du bist durcheinander. Hör auf damit.«
Aber ich ließ ihn stehen. Er versuchte nicht, mir zu folgen. Ich verließ das Gebäude, rannte über die Straße und versteckte mich im nächsten U-Bahnhof. Ich befand mich keineswegs im Blindflug und wusste genau, was mein nächstes Ziel war. Ich hätte es von Anfang an wissen müssen.
FÜNFZEHN
S ie dachte niemals wieder an jene Nacht, aber in ihrem Herzen existierte sie weiter wie ein vergessenes Zimmer in einem riesigen Haus. Vielleicht lief sie manchmal durch den dunklen Flur, legte eine Hand an die Klinke, aber sie öffnete nie die Tür. Sie beherzigte Blaubarts Rat und hielt Pandora für eine Idiotin. An manche Erinnerungen rührt man besser nicht. Nach allgemeinem Dafürhalten bedeutete in der Vergangenheit zu stochern, die Kindheit zu sezieren und auf Schmerzen und Traumata abzuklopfen. Das wurde mit Akzeptanz, Befreiung und letztendlich Vergebung belohnt. Aber Linda fragte sich, ob das wirklich der beste Weg sei. Vielleicht verführte diese Denkweise die Leute dazu, an Krusten zu kratzen und Narben zu riskieren, wo das Fleisch, hätte man es nur in Ruhe gelassen, einfach verheilt wäre.
Sie wollte sich nicht an jene Nacht erinnern, als sie erschreckt aus dem Schlaf hochgefahren war und das Mondlicht in dem Zimmer, das sie mit Isabel teilte, so hell schien, dass sie einen Moment lang dachte, es sei Morgen. Aber dann sah sie hinter der Fensterscheibe das bläulich blasse Gesicht eines tief hängenden Mondes. Sie schlüpfte aus dem Bett, ohne Rücksicht auf Izzy zu nehmen, die so wie ihre Mutter einen tiefen Schlaf hatte und morgens nur durch Rütteln wach zu bekommen war. Izzy lag zusammengerollt unter der Bettdecke und atmete ruhig und gleichmäßig. Linda trat ans Fenster und schaute in den Garten. Die rostige alte Schaukel, auf der sie seit Jahren nicht gesessen hatte, war gefährlich abgesackt, der Rahmen krümmte sich im Mondlicht. Daneben erhob sich eine riesige, uralte Eiche, deren Blätter im leichten Wind raschelten. Am hinteren Ende des Grundstücks, knapp vor einer Baumreihe, stand der Holzschuppen des Vaters. Er wirkte groß und stabil, solide, dabei war er ebenso klapprig wie das Schaukelgestell.
Ein kräftiger Windstoß, hatte ihre Mutter gesagt , und das Ding fällt in sich zusammen.
Das hättest du wohl gern, hatte der Vater gekontert.
Linda sah, dass eine der Türen offen stand. Schnell zog sie unter dem Nachthemd eine Jeans an, schlüpfte in ihre Segeltuchschuhe und lief durch den Flur.
Der Tag gehörte Isabel. Aber nachts, wenn Margie und Izzy tief und traumlos schliefen, gehörte Daddy ihr allein. So wie ihr Vater litt Linda immer wieder an Schlaflosigkeit, und in manchen Nächten kamen sie beide nicht zur Ruhe.
»Wir sind Nachteulen, mein Schatz. Du und ich, allein mit den
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