Huete dich vor deinem Naechsten
nicht normal, sich manchmal mit ein bisschen Unglück zu arrangieren, um andere glücklich zu machen - die Kinder zum Beispiel? Die einen, ganz nebenbei, nicht gebeten hatten, sie auf die Welt zu bringen und mit den eigenen Problemen zu belasten.
»Wann hast du es getan?«, fragte sie. Sie war enttäuscht von ihm, irgendwie machte ihn die Tatsache, dass er seine Familie verlassen hatte, weniger attraktiv.
»Gestern.«
Jetzt verstand sie - sein Besuch am Morgen, der leidenschaftliche, verzweifelte Sex. »Warum hast du nichts gesagt?«
»Du warst so besorgt, so abgelenkt. Ich wollte deine Probleme nicht verschlimmern.«
»Es tut mir leid, Ben.« Sie wusste nicht genau, ob und wofür sie sich entschuldigte. Vielleicht wollte sie ihm nur zu verstehen geben, wie traurig sie die Lage fand, in die sie sich gebracht hatten.
»Du liebst ihn noch, oder?«, fragte Ben und hustete trocken, als bereitete die Frage ihm körperliche Schmerzen. »Deinen Mann.«
Als Erik heute gestanden hatte, was mit dem Geld passiert war, hatte er geweint. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Sie hatte neben ihm gesessen und ihn umarmt und seinen Nacken massiert, so wie sie es bei den Kindern machte, wenn die sich schrecklich über irgendetwas aufregten - auch wenn sie ihn am liebsten angebrüllt oder sogar geschlagen hätte. Sie war so wütend auf ihn, und sie machte sich große Sorgen um die Zukunft. Durch sein Handeln hatte Linda etwas verloren, das für ihren Seelenfrieden elementar war: ihre finanzielle Sicherheit. Er hatte sie betrogen, hinter ihrem Rücken agiert und ihre Zukunft verspielt. Genau so, wie ihr Vater es mit ihrer Mutter gemacht hatte. Ihr ganzes Leben hatte Linda dagegen angekämpft, so wie ihre Mutter zu sein - aber da stand sie nun. Allein schon der Gedanke machte Linda krank. Aber egal, wie wütend sie auf ihren Mann war, egal, wie sehr er sie verletzt hatte, sie würde ihn immer lieben, so wie sie Emily und Trevor immer lieben würde, und Isabel. So eine Liebe war das.
»Ja, Ben, ich liebe ihn noch«, sagte sie. »Du weißt es. Ich war immer ehrlich zu dir.«
Während Ben vielsagend schwieg, konnte Linda spüren, wie sehr ihre Worte ihn verletzten. Ihre Wangen fingen zu brennen an. Ob vor Scham oder Wut, wusste sie selbst nicht.
»Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte sie. »Ich hätte dich nicht anrufen dürfen.«
»Du wolltest mir etwas erzählen«, sagte er ruhig. »Tut mir leid.«
»Ist schon gut. Pass auf dich auf.« Klang sie kühl? Wahrscheinlich. Sie konnte nicht anders.
»Linda, warte…« Sie tat so, als hätte sie ihn nicht gehört, und drückte auf Gespräch beenden . Eine Sekunde später fing das Handy lautlos zu vibrieren an. Ben rief zurück. Sie drückte eine Taste, leitete den Anruf auf die Mailbox um und steckte das Handy ein. Sie schlich in Freds Krankenzimmer zurück und stellte sich ans Fenster.
Trevor, Emily und Fred schliefen friedlich. Draußen fiel Eisregen. Lindas Besorgnis regte sich wieder, und eine ängstliche Ruhelosigkeit, weil Erik und Isabel da draußen unterwegs und nicht zu erreichen waren. Eine Weile wurde Linda vom Anblick des Fensters abgelenkt - der Regen warf kristallene Bilder an die Scheibe, und die orangefarbenen Parkplatzlampen, die sie eben noch hässlich gefunden hatte, ließen ihn golden schimmern. Das Rechteck aus Licht, das hinter ihrem Rücken durch die Tür fiel, spiegelte sich im Fensterglas wider und sah aus wie ein Tor zu einer anderen Welt. Linda wusste, das Licht war zu schwach, um die gewünschten Effekte zu erzielen, trotzdem hätte sie gern ihre Kamera dabeigehabt. Dann entdeckte sie plötzlich etwas, das das Blut in ihren Adern gefrieren ließ.
Unter einer der Laternen stand ein schwarzer Mercedes, dessen Auspuff Qualm ausstieß wie schmutzig grauen Atem. Sie kannte das Auto gut, den Kratzer und die Beule an der Fahrertür, die speziell angefertigten Felgen, die er sich eigentlich nicht leisten konnte. In diesem Auto hatte sie gelacht und geweint, gebeichtet und mit ihm geschlafen.
Sie sah seinen Umriss auf dem Fahrersitz und einen kleinen Lichtpunkt - eine glimmende Zigarette. Ben.
War er da draußen, um sie zu beobachten, um auf sie zu warten? War er ihr gefolgt? Sie hielt sich seit Stunden in diesem Krankenhaus auf, hatte er die ganze Zeit draußen gestanden?
Das Handy in ihrer Tasche begann zu vibrieren. Sie zog es heraus und schaute aufs Display.
Anruf von Ben .
SECHZEHN
D as Geschnatter fing an, ihm auf die Nerven zu gehen. Es klang
Weitere Kostenlose Bücher