Hueter der Daemmerung
Weg einigermaßen frei zu sein.
Als ihm die Lösung einfiel, presste er die Kiefer aufeinander. Er hätte sich eigentlich denken können, dass er nicht darum herumkam – dass die Ereignisse ihn irgendwie unfehlbar an diesen Ort zurücktreiben würden. Wie ein Hütehund das Schaf, dachte er mit einem Anflug von Galgenhumor. Nur wenn das centro im wahrsten Sinne des Wortes in Flammen stand, war es möglich, dass das Viertel seiner Kindheit wie eine sichere Zuflucht wirkte, sodass er es überhaupt in Erwägung ziehen konnte, das Mädchen, das er liebte, dorthin mitzunehmen.
Willow berührte seinen Arm. »Seb, was ist los? Wo willst du hin?«
»Nach Tepito«, sagte er. Er nahm ihre Hand und konnte kaum dem Drang widerstehen, sie zu küssen. »Komm … ich weiß, wo wir hinkönnen.«
23
Alex stand reglos da, während Willow und Seb den Platz überquerten. In dem kurzen Rock sah Willow umwerfend aus, aber selbst wenn sie wie gewöhnlich Jeans und Turnschuhe getragen hätte, hätte er den Blick nicht abwenden können. Er sah zu, wie ihre Gestalt kleiner wurde, als sie und Seb sich der Kathedrale näherten. Ihre Beine in den hochhackigen Sandalen schritten energisch aus.
Sie schaute nicht zurück, was er auch nicht wirklich erwartet hatte. Als die beiden in der wartenden Menschenmenge verschwanden, stieß er die Luft aus.
»Alles okay mit dir?«, fragte Kara.
»Ja«, erwiderte Alex knapp. Eine Sekunde lang sehnte er sich danach, ihnen hinterherzurennen, Willow auf die Seite zu ziehen und … was? Sie hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass es nichts mehr zu sagen gab, dass die Freundschaft mit Seb ihr mehr bedeutete, als ihre Beziehung zu ihm. Tief im Inneren wusste er, dass die Dinge nicht ganz so simpel lagen – dass es zwischen Schwarz und Weiß auch noch Grautöne gab, die ihn während der letzten zwei Nächte wach gehalten und in die Dunkelheit hatten starren lassen. Er fühlte sich unfähig, das ganze Gefühlschaos zu entwirren. Alles, was er sehen konnte, waren Willows rot angelaufene Wangen, als er sie beschuldigt hatte, permanent an Seb zu denken – der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie in jener Nacht den Ärmel seines Sweatshirts berührt hatte. Er war immer noch so in sie verliebt, dass es wehtat. Aber er wusste nicht mehr, was in ihrem Kopf vorging.
Vergiss das Ganze – vergiss es einfach. Er hatte seinen eigenen idiotischen Gedanken gründlich satt.
»Kommt«, forderte er das Team auf. »Los geht’s!«
Eine halbe Stunde später standen sie vor der Kathedrale und lauschten den Klängen eines Engelschorals, die nach draußen drangen. Hinter ihnen schrie jemand etwas über die Ungerechtigkeit einer Stadt durch ein Megafon, die zwar in die Engel investierte, aber kein Geld übrig hatte, um ihren sterbenden Einwohnern Krankenhausbetten zur Verfügung zu stellen. Während die Menge zustimmend brüllte, kreischten die Gläubigen ihren Protest heraus und versuchten, an den Sicherheitsleuten vorbeizukommen – deren Anzahl sich mittlerweile geradezu jämmerlich klein ausnahm. Ihre Anweisungen, die sie Aktivisten und Gläubigen zuschrien, stießen bei beiden Gruppen auf taube Ohren.
»Mann, noch eine Sekunde und aus die Maus«, murmelte Kara, die die Bemühungen der Männer beobachtete. »Und dann wird’s richtig hässlich.«
Alex nickte. Auch nur in der Nähe der Ereignisse zu sein, machte ihn bereits nervös. Die AKs hätten sich wirklich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können. Wieder zog er sein Handy heraus und schaute auf das Display. Kein Anruf von Willow.
»Wartet mal, was passiert denn jetzt?« Brendan spähte die dunklen Eingangsstufen hinunter. »Das Singen hat aufgehört.«
Alex konnte die Worte des Predigers nicht verstehen, aber es schien ungefähr der richtige Zeitpunkt für die Segnung der Gläubigen zu sein. Sei vorsichtig, Babe, bitte sei vorsichtig. Er konnte den Gedanken nicht aufhalten. Mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen lehnte er sich an die Außenmauer der Kathedrale und widerstand dem Drang, schon wieder auf sein Handy zu gucken.
Er schoss bolzengrade in die Höhe, als eine gewaltige Explosion den Boden unter seinen Füßen erbeben ließ.
»Was zur Hölle –« Sam riss die Augen auf. Seine Stimme ging im Getöse weiterer Explosionen unter.
Oh Gott, es hatte tatsächlich einen Anschlag gegeben, und Willow war da drin – Alex stürzte auf den Eingang zu, während die Explosionen anhielten, raste die Stufen hinunter und prallte frontal auf
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