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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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Ernährungsgewohnheiten der Engel war er sich nie ganz klar geworden. Die Engel fügten den Menschen Schaden zu, und er wünschte sich, das wäre anders – aber sie machten sie auch von Herzen glücklich. Da er schon Menschen mit Angelburn-Syndrom die Zukunft vorhergesagt hatte, wusste er, dass dieses Glücksgefühl echt war und selbst dann nicht getrübt wurde, wenn ihre Gesundheit bereits beeinträchtigt war. Wenn Menschen andere Menschen verletzten, war da überhaupt kein Glück – nur Schmerz und Leid. Die Engel aber gaben immerhin etwas zurück. Dann seufzte Seb, während er überlegte, welche Art von Verletzung der Mann wohl davongetragen hatte. Das Problem war nicht einfach, er hatte für sich nie eine Lösung gefunden.
    Die Mädchen probierten jetzt Halsketten an und bewunderten sich in einem kleinen Spiegel.
    »Mir gefällt die mit den Türkisen«, sagte Amanda. Neben ihren dunklen Haaren leuchtete Lucys roter Schopf.
    »Echt?« Lucy legte den Kopf schief, während sie sich kritisch musterte. »Ich kann mich nicht entscheiden. Die mit den Muscheln mag ich auch. Warte mal, gibt es passende Ohrringe dazu?«
    Seb schlenderte zum nächsten Stand hinüber, an dem ein buntes Sammelsurium feilgeboten wurde: Kleidung, alte Taschenbücher, CDs. Er holte seine Zigaretten aus seinem Rucksack und steckte sich eine an, während er die Bücher durchsah, die in langen zerfledderten Reihen mit dem Rücken nach oben angeordnet waren. Seine Freude am Lesen hatte er in der armseligen Bibliothek des Waisenhauses entdeckt, in der er jedes Buch zur Hand genommen hatte, weil er hoffte, etwas über andere herauszufinden, die so waren wie er. Er hatte nichts entdeckt, natürlich nicht. Aber er war über eine Geschichte von einem Jungen und einem Pferd gestolpert, hatte Feuer gefangen. Bis heute war er eine richtige Leseratte.
    Jetzt fand er einen populärwissenschaftlichen Titel, den er noch nicht kannte. Er stützte sich mit dem Ellenbogen auf das Regal, neben dem er stand, und schlug die erste Seite auf. Schon bald war er vollkommen vertieft.
    »Ich hab was zu verkaufen«, sagte eine Stimme. »Sie kaufen doch Kleidung und so, oder?«
    Seb blickte nicht auf. Vage bekam er mit, dass der Standbesitzer mit irgendjemandem einen Haufen Ware durchsah, während er und der andere um die Preise feilschten. »Mann, soll das ein Witz sein? Allein das Shirt hier ist schon fünfzig Pesos wert …«
    Seb beschloss, das Buch zu kaufen, nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und drückte sie aus. Als er hinüberschaute, sah er, dass der Sprecher ein stämmiger Typ und ein paar Jahre älter war als er. Gerade hielt er ein hellblaues langärmliges Mädchenshirt in die Höhe. Seb runzelte die Stirn. Das Gefühl, dass er Initiative ergreifen sollte, durchrieselte ihn erneut, stärker als je zuvor. Schließlich wurden die beiden sich einig und der Standbesitzer legte das Shirt zur Seite.
    Aus irgendeinem Grund konnte Seb sich nicht zurückhalten – er griff danach. Als seine Finger den dünnen Stoff berührten, schnappte er bestürzt nach Luft.
    Vertraut. Wie konnte es sich dermaßen vertraut anfühlen?
    Lucy kam herangetänzelt, ihre Augen leuchteten. »Guck mal! Na, bin ich nicht hübsch?« Sie drückte seinen Arm und wackelte mit dem Kopf, um ihm ihre neuen Ohrringe vorzuführen. Dann schaute sie auf das Shirt hinunter und hob wissend die Augenbrauen. »Oh, was ist denn das? Kaufst du etwa ein Geschenk für mich?«
    »Ich … äh, nein«, erwiderte Seb schwach. Er bekam kaum mit, dass sie da war. Immer noch umklammerte er das T-Shirt. Er war sich nicht sicher, ob er es je wieder würde loslassen können. Er sah zu, wie der Standbesitzer ein Paar Mädchenjeans untersuchte. Er zog ein kleines gerahmtes Foto aus einer Hosentasche und musterte es mit zusammengekniffenen Augen.
    »Hübsches Mädchen. Den Rahmen kann ich verkaufen, aber das Foto kann ich nicht gebrauchen. Willst du es wiederhaben?«
    Der stämmige Kerl warf einen Blick darauf. »Nee. Wie viel für den Rahmen?«
    Sebs Kehle wurde trocken. Ohne seine linke Hand von dem Shirt zu lösen, sagte er: »Warten Sie, kann ich das mal sehen?«, und zupfte dem Standbesitzer das gerahmte Foto aus der Hand.
    Es war das Bild eines kleinen Mädchens mit langen blonden Haaren, das durch die hängenden Zweige einer Weide blinzelte. Einen Augenblick lang bekam Seb fast keine Luft mehr, als er ihr lächelndes Gesicht betrachtete. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand in den Bauch geboxt.
    Lucy stand

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