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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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da und starrte ihn an. Am anderen Ende des Stands war Amanda aufgetaucht und wühlte in den CDs herum. »Hey, was ist los?«, fragte Lucy. »Ich hab nicht alles verstanden.«
    »Ich nehme das hier.« Seb schaffte es endlich, den Standbesitzer anzusprechen. »Und das Shirt. Wie viel wollen Sie dafür?«
    Der Mann hob unschlüssig die Schultern. »Hundert Pesos für beides? Ist ’n hübscher kleiner Rahmen.«
    Seb fischte das Geld aus seiner Tasche und schob es ihm hin. Dann steckte er Shirt und Foto in seine Tasche und zog sorgfältig den Reißverschluss zu, als wolle er sie beschützen. »Wo hast du das her?«, fragte er den stämmigen Typen. Seine Stimme zitterte. »Weißt du, wer das Mädchen ist?«
    Ein gerissener Ausdruck erschien plötzlich auf dem Gesicht des Mannes. »Niemand Besonderes. Warum interessiert dich das so?«
    »Weil ich das Mädchen finden muss«, presste Seb zwischen den Zähnen hervor, jedes Wort leise und deutlich. »Hast du das Zeug geklaut? Wo – los, sag’s mir!«
    »Hey, ich bin doch kein Dieb! Nein, es lag einfach so am Straßenrand rum. Hat wahrscheinlich jemand verloren.«
    Er log – seine Aura hatte eine verschlagene senfgelbe Färbung angenommen. Sebs Muskeln zuckten. Er wusste, dass er kurz davor war, sich auf den Kerl zu stürzen und ihm eine zu verpassen. Er trat auf ihn zu. »Lüg mich nicht an, Mann! Ich frage dich zum letzten Mal – wo hast du das her?«
    »Seb!«, rief Lucy und zog an seinem Arm. »Krieg dich mal wieder ein! Was ist hier eigentlich los?«
    Er schüttelte sie ab, ohne den Dieb aus den Augen zu lassen. Der Mann schluckte und sah jetzt sehr nervös aus.
    »Hört mal, ich will hier keinen Ärger«, mischte sich der Standbesitzer ein. »Wenn ihr Jungs ein Problem habt, klärt das woanders.«
    Seb ignorierte ihn. »Sag’s mir!«, verlangte er leise. Und er wusste, dass er sich haargenau so anhörte wie in den finsteren Zeiten, als er dreizehn Jahre alt gewesen war. Damals war er keiner Prügelei aus dem Weg gegangen. Das war jetzt anders, dennoch würde er keine Sekunde zögern.
    Er spürte, dass auch der Typ sich darüber klar wurde und eine Entscheidung traf. »Du wirst sie nicht finden«, sagte er endlich. »Das ist Stunden her – die sind schon längst wieder weg. Das waren gringos, die hatten nur angehalten, um sich was zu essen zu kaufen. Mehr sag ich dir nicht.«
    Es war die Wahrheit. Seb stieß die Luft aus. Amanda stand jetzt neben Lucy und beide glotzten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Vielleicht hatte er das ja auch. »Tut mir leid«, murmelte er Lucy zu und wich einen Schritt zurück. Das Blut rauschte in seinen Ohren. »Ich muss los.«
    »Los? Du meinst zurück zum Hostel?«
    »Nein … nein, ich muss los.« Und bevor sie antworten konnte, drehte er sich um und rannte im Dauerlauf über den Marktplatz davon. Ihr verdutztes Gesicht verschwamm zu einem undeutlichen Fleck. Er musste irgendwohin, wo er für sich sein konnte, musste sich das Zeug noch mal anschauen. Bestimmt wurde er verrückt … es konnte einfach nicht wahr sein …
    Das Hostel würde voller Menschen sein, deshalb drehte er Richtung Osten ab und stürmte die Straßen entlang bis zur Plaza de Armas mit ihrem kleinen plätschernden Springbrunnen, ihren Palmen und Fichten und der steinernen Kathedrale, deren weiße Fassade im Licht der untergehenden Sonne fast rosa schimmerte. Gegenüber der Kathedrale stand ein Konzertpavillon – ein elegantes schmiedeeisernes Gebilde aus einer anderen Epoche. Seb sah, dass er leer war, und sprang mit einem Satz die vier Stufen hinauf. Schwer atmend zog er das Foto aus seinem Rucksack, doch dann zögerte er und schloss die Faust so fest um den kleinen Rahmen, dass er sich in seine Handfläche bohrte. Es konnte nicht stimmen. Er hatte es sich nur so oft gewünscht, bis er am Ende durchgedreht war. Er würde seine Hand öffnen und sie wäre nichts weiter als ein menschliches Mädchen – bloß ein menschliches Mädchen.
    Seb schluckte und wagte es, endlich einen Blick auf das Foto zu werfen. Er starrte es an. Ohne sich dessen bewusst zu sein, sank er auf den abgetretenen Holzboden, das Foto immer noch in der Hand.
    Seit er sich erinnern konnte, war er in der Lage gewesen, Auren zu erkennen – das wütende, knisternde Rot in der Energie des Freundes seiner Mutter, wenn er Seb schlug. Das lasche Blau in der Aura seiner Mutter, als sie ihn weinend im Waisenhaus ablieferte und Seb die Schuld daran gab, weil er mit dem Mann nicht auskam. Seine

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