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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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hatte? Ihr hellblaues Shirt steckte immer noch ordentlich zusammengefaltet in seinem Rucksack, aber er widerstand dem Drang, es schon wieder herauszuziehen, denn jedes Mal, wenn er den weichen Stoff berührte, wurden die Bilder schwächer, wurde die Energie des Mädchens durch seine eigene verwässert.
    Der Abend ging in eine weiche Dunkelheit über. Die Lampions leuchteten hell, und rund um sie herum stiegen jubelnde Gitarren- und Trompetenklänge in den Himmel. Mike hatte kaltes Bier mitgebracht. Er bot Seb eines an und sie tranken gemeinsam, während sie auf die herumwirbelnden Tänzer herunterschauten.
    »Ich will morgen nach Tepito«, sagte Mike, lehnte sich an die Wand und streckte die Beine aus. »Im Reiseführer habe ich es nicht gefunden, aber es liegt doch nördlich von hier, stimmt’s?«
    Seb rauchte gerade eine Zigarette und war mit seinen Gedanken schon wieder im Park. Er überlegte, ob er sich anstatt auf den beliebteren ersten und zweiten Bereich lieber auf den bewaldeten Teil konzentrieren sollte. Bei Mikes Worten schreckte er auf. Schnell stieß er den Rauch aus und sah ihn an. »Was? Warum?«
    »Um es mir anzuschauen. Mann. Ich will mir hier alles anschauen.«
    »Nein«, sagte Seb entschieden. »Bleib da weg.«
    Mike blinzelte. »Warum? Ist doch nur ein Markt, oder?«
    »Tepito ist das übelste barrio in der ganzen Stadt«, erwiderte Seb. »Ein gringo mit einer Kamera und einem Handy, der kaum ein Wort Spanisch spricht? Du wärst ein gefundenes Fressen.
    Die würden dich innerhalb von Minuten ausrauben, oder Schlimmeres.« Er stammte aus diesem Viertel, dessen dunkle Straßen mit den raschelnden Sonnensegeln der Marktstände ihm so vertraut waren wie die Narben auf seinem Körper. Und die zu bekommen hatte ungefähr genauso viel Spaß gemacht wie das Leben dort.
    Der Amerikaner sah skeptisch aus. »So schlimm kann es doch nicht sein, oder?«
    »Doch«, sagte Seb. »Vertrau mir – bleib da weg. Geh los und arbeite das Touristenprogramm ab. Es hat schon seinen Grund, dass Tepito nicht im Reiseführer steht.« Er grinste und zog an seiner Zigarette. »Die Paddelboote im Chapultepec Park sind sehr hübsch.«
    Mike schnitt eine Grimasse. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern und sah dann auf die Szene zu ihren Füßen. »Hey, guck mal da«, lachte er und stützte sich wieder auf das Geländer. »Die kleine Herumtreiberin.«
    Seb drückte seine Zigarette aus. Als er seinem Blick folgte, sah er ein Straßenmädchen, das sich durch die Zuschauermenge schlängelte. Sie war ungefähr sieben Jahre alt und hatte strubbelige dunkle Haare. Von oben war deutlich zu erkennen, wie sie die Hand in die Tasche eines Mannes steckte und sie wieder herauszog. Schnell stopfte sie das, was sie gefunden hatte, unter ihr Hemd. Ein leichtes Lächeln legte sich auf Sebs Gesicht. Nur zu gut erinnerte er sich an das Gefühl – die schnelle Bewegung der Finger, das Zugreifen und Herausziehen, während man die ganze Zeit darauf achten musste, den Stoff an den Seiten der Tasche nicht zu berühren.
    Mike kam wieder auf Tepito zurück, doch Sebs Augen folgten dem Mädchen auf seinem Zickzackkurs durch die Menge. Sie war dünn und so jung, mit großen braunen Augen und einem schmutzigen Gesicht. Er wusste, dass sie wahrscheinlich in einem der leer stehenden Gebäude in der Nähe des Stadtzentrums wohnte, oder vielleicht auch unten in der Kanalisation. Ein hartes Leben – bei Gott, ein furchtbar hartes Leben, und voller Gefahren. Sogar jetzt noch, Jahre später, war er manchmal erstaunt, dass er es lebend überstanden hatte.
    Trotzdem war es immer noch besser gewesen als die Einrichtung, in die sie ihn gesteckt hatten.
    »Und was ist mit dem Languilla Markt?«, fragte Mike gerade. »Ist der okay?«
    »Ja, der ist ganz in Ordnung«, antwortete Seb abwesend. »Bleib einfach in den Straßen rund um die Francisco Bocanegra und die Comonfort. An dem Ende ist es sicherer.«
    »Okay, danke.« Mike grinste. »Hey, vielleicht frage ich die drei französischen Mädchen, ob sie mitkommen wollen, falls ich sie von der Kathedrale loseisen kann. Willst du auch mit? Ich glaube die eine, Celine, steht auf dich.«
    Seb wollte antworten, brach aber ab, als er einen Engel erblickte, der über ihren Köpfen dahinschwebte. Er ließ seine Aura eine stumpfe Graufärbung annehmen und zog sie so dicht an seinen Körper, wie nur möglich, damit sie eingefallen wirkte. Mikes Aura neben ihm sah viel zu gesund aus. Seb rückte näher an ihn heran und

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