Hueter der Daemmerung
die Alex auf unserem Weg nach Mexico City gekauft hatte, und die immer noch ungeöffnet in seiner Tasche steckte, mächtig bewusst. Er sich auch – was für eine Untertreibung – aber keiner von uns erwähnte sie. Ich wusste, dass Alex, genau wie ich, wollte, dass es perfekt war, wenn es so weit wäre – Verlegenheit, weil jemand uns hören könnte, oder ein heimlicher Ausflug in den muffelnden Fitnesskeller waren dabei nicht vorgesehen.
Das alles war schon schlimm genug. Aber nicht so wie früher mit ihm reden zu können war sogar noch schlimmer. Alex hatte bemerkt, wie ich mich fühlte. »Es tut mir leid«, sagte er eine gute Woche nach unserer Ankunft leise. »Ich weiß, dass du hier nicht sehr glücklich bist.«
Wir hatten uns vor dem Abendessen kurz in sein Zimmer zurückgezogen. In der Ferne hörte ich den Fernseher laufen. »Mir geht’s gut«, flüsterte ich zurück. »Mach dir um mich keine Sorgen. Wir tun hier, was wir tun müssen. Und außerdem … kommst du mir auch nicht gerade glücklich vor.«
Ich fuhr gedankenverloren mit dem Finger den Bogen seiner Augenbraue nach. Klar, glücklich sein war hier nicht der springende Punkt, nicht, wenn das, was wir taten, für die Welt von entscheidender Bedeutung war. Keiner von uns hätte sich dafür entschieden, woanders zu sein, selbst dann nicht, wenn wir es gekonnt hätten.
Trotzdem machte es mich traurig, als mir aufging, dass es schon Tage her war, seit ich ein richtiges Lächeln in Alex’ Gesicht gesehen hatte – dieses wunderbare leichtherzige Grinsen, das mein Herz zum Schmelzen brachte.
»Ich mache mir aber Sorgen um dich«, erwiderte er und ignorierte, was ich über ihn gesagt hatte. »Willow, hör mal, wenn wir es tatsächlich schaffen – wenn wir sie irgendwie besiegen -dann wird für uns alles anders werden, versprochen …«
Er brach ab, als wir hörten, wie nebenan jemand den Schlafraum betrat, herumging und sich umzog. Danach verstummten wir und ließen unsere Lippen, die sich berührten, das Reden für uns übernehmen.
Und so verliefen mittlerweile die meisten unserer Gespräche – hastige Sätze, schnelle Rückmeldungen, keine Zeit für Einzelheiten. Mir fehlte es, mit Alex im selben Bett zu schlafen. Mir fehlte es so schrecklich, dass ich manchmal wach lag und mich einfach nur nach ihm sehnte. Brennend wünschte ich mir, durch das dunkle Haus zu ihm zu huschen. Mir war vorher nie klar gewesen, wie viel wir miteinander redeten, wenn wir zusammen im Bett lagen. Oder wie kostbar mir diese stillen Gespräche im Dunkeln waren.
Und ich glaubte, wenn ich nur wieder zusammengerollt in seinem Arm liegen könnte, in der Gewissheit, dass wir allein waren – wirklich allein, so wie früher –, dann würde ich es vielleicht auch schaffen, ihm von meiner Angst zu erzählen.
Seit jener ersten Nacht hatte ich keinen Kontakt mehr zu meinem Engel aufgenommen, aber ich konnte sie spüren, ununterbrochen. Im Laufe der Tage hatte sich ihre Unruhe gesteigert, bis es mir vorkam, als sehne sie sich danach auszubrechen. Befangen versuchte ich die Tage zu überstehen, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Ich versuchte sogar, mir selbst etwas vorzumachen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als wüsste sowieso schon jeder Bescheid, denn gelegentlich spürte ich ein Kribbeln im Nacken, als würden mich alle anstarren. Hin und wieder war sogar jemand da, wenn ich mich umdrehte, aber meistens ging mein Blick ins Leere. Und die ganze Zeit über merkte ich, wie mein Engel sich gegen mich wehrte. Was mich am meisten ängstigte, war, dass es zunehmend anstrengend wurde, sie zurückzuhalten. Es war wie ein Kampf mit einem Papierdrachen, der an seiner Schnur zerrte.
Mein früheres Leben in Pawntucket schien Lichtjahre entfernt zu sein: Damals war ich noch die – zugegebenermaßen etwas seltsame – Hobbymechanikerin und Hellseherin Willow Fields gewesen, die ansonsten aber ein ziemlich langweiliges, gewöhnliches Leben führte. Und die sich in ihrem eigenen Körper ganz bestimmt nicht wie eine Fremde vorgekommen war. Kaum zu glauben, dass es wirklich eine Zeit gegeben hatte, in der ich mich einfach nur … normal gefühlt hatte. Menschlich.
9
Die Parade überraschte Seb.
Es war inzwischen etwas mehr als zwei Wochen her, dass er nach el DF getrampt war und er hatte jede Stunde Tageslicht ausgenutzt, um nach dem Mädchen auf dem Foto zu suchen. Nur dunkel erinnerte er sich noch daran, welcher Wochentag eigentlich war. Aber jetzt, auf dem Rückweg zu seiner
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