Hueter der Daemmerung
etwas erfühlen kannst«, bemerkte Kara, die mich eingehend musterte. »Du könntest also etwas Nützliches aufschnappen.«
Alex betrachtete sie nachdenklich. Er stützte seinen Kopf in die Hand und massierte sich die Stirn. »Ich schicke Willow nicht in die Kathedrale, ihre Aura ist viel zu auffällig. Jeder Engel, der sie sähe, wüsste ganz genau, wer sie ist. Dann müssten sie nur noch Alarm schlagen und schon gäbe es einen Aufstand. Jedes Kirchenmitglied auf der Welt will ihr an den Kragen.«
»Ja, aber wir könnten doch vorher scannen, oder?« Brendans Stimme wurde vor Aufregung so lebhaft wie bei seinen politischen Debatten mit Sam. »Um sicherzugehen, dass keine Engel in der Nähe sind.«
Kara nickte. »Klar. Und wir beide könnten sie begleiten, Alex, und ihr Deckung geben.«
Ich wollte gerade sagen, dass sich das gut anhörte (und das tat es wirklich, denn ich war mir schmerzlich bewusst, dass ich wahrscheinlich das Teammitglied war, das bislang am wenigsten beigesteuert hatte), als Alex den Kopf hob und mir zuvorkam. Seine Stimme klang ungeduldig. »Du hast gesagt, dass dort ständig Engel ein und aus fliegen, Kara. Was soll es dann bringen zu scannen?«
Ich zögerte. »Aber Alex, wenn ich was herausbekommen könnte, wüssten wir viel besser, wie wir an diese Sache herangehen müssten. Und so lange würde ich ja gar nicht brauchen, wahrscheinlich wüsste ich schon nach fünf Minuten, ob ich etwas in Erfahrung bringen kann oder nicht.«
Er bedachte mich mit einem Blick. »Die Engel sind ja nicht das einzige Problem. Denk dran, dein Bild war weltweit auf jeder Homepage der Church of Angels zu sehen. Jemand könnte dich erkennen.«
»Nicht mit diesen Haaren.« Ich berührte die kurzen rotgoldenen Strähnen.
Er schnaubte. »Oh ja, als wäre das die perfekte Tarnung.«
»Aber wenn du und Kara mir Deckung geben würdet, dann …«
»Weißt du überhaupt was ›Deckung geben‹ heißt?«, fragte Alex schroff. »Wir sind hier nicht im Kino. Willst du allen Ernstes, dass wir anfangen müssen, auf eine kreischende Menschenmenge zu schießen, um dich dort rauszuschaffen, falls irgendetwas schiefgeht?«
Wo war denn dieser Streit auf einmal hergekommen? »Nein, natürlich will ich das nicht«, sagte ich. Alle hatten aufgehört zu reden und schauten uns an. Trishs Augen waren riesig, ihre Hand mit dem Kaffeebecher verharrte in der Luft. »Aber Alex, du weißt, dass ich es für gewöhnlich spüre, wenn ein Ort gefährlich für mich wird. Ja okay, nicht hundertprozentig, aber …«
»Willow!« Mein Name traf mich wie ein Peitschenhieb. »Ich habe Nein gesagt, verstanden? Ende der Diskussion.«
Es fühlte sich an, als hätte er mich geschlagen. In der plötzlichen ohrenbetäubenden Stille warf Alex das Blatt Papier hin und stieß seinen Stuhl zurück. Ohne ein Wort verließ er das Zimmer.
Meine Wangen glühten. Zunächst war ich zu geschockt, um mich zu rühren. Schließlich, nach einer langen Pause, hob Kara eine perfekt gezupfte Augenbraue. »Tja, wie ich sehe, hat sich sein Temperament in der Zwischenzeit nicht gebessert. Ich rede mit ihm.« Sie machte Anstalten aufzustehen.
»Nein!«, rief ich. »Nein – ich rede mit ihm.«
Sie betrachtete mich. Ihre Miene war beinahe belustigt. »Sicher? Ich habe eine Menge Erfahrung darin, wie man die Kylar-Jungs nehmen muss, wenn sie sich so aufführen. Das will nämlich gelernt sein.«
Bislang war ich mir nicht sicher gewesen, was ich von Kara hielt, trotz des Blickes, den sie Alex zugeworfen hatte – aber jetzt wurde es mir klarer. Ich mochte sie nicht besonders. »Danke, ich habe es gelernt«, sagte ich und erhob mich von meinem Stuhl. »Ich gehe.«
Ich hörte, wie nach dem bisherigen Schweigen alle auf einmal ihre Sprache wiederfanden, als ich den Flur hinunterging. Ich blendete das Stimmengewirr in meinem Rücken aus und versuchte gar nicht erst zu verstehen, was gesagt wurde. Ich konnte es mir ohnehin lebhaft vorstellen.
Ich wusste, dass Alex in seinem Zimmer sein musste. Aber als ich dort ankam, war seine Tür geschlossen. Ich hielt inne und blieb in der leicht nach Schweiß riechenden Unordnung des Jungenschlafsaals stehen. Seine Tür war nie geschlossen, es sei denn, er schlief oder ich war bei ihm. Ungeachtet dessen, was ich zu Kara gesagt hatte, war dies Neuland für mich. Alex und ich stritten fast nie. Dann dachte ich daran, wie er mich angeschnauzt hatte und schnitt eine Grimasse. Wir mussten darüber sprechen.
Ich klopfte. »Kann ich reinkommen?
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