Hüter der Flamme 01 - Die Welt des Meisters
Schoß und lächelte ihm beruhigend zu. »Hat er, glaube ich. Aber der Brief ist ebenso wie unsere Körper umgesetzt worden. Entweder das, oder er versucht anzugeben. Ari?«
Der alte Mann streifte mit den Fingern durch den grauen Bart. »Ich weiß es nicht. Beides könnte möglich sein.« Dann schloß er die Augen. »Das … hängt von der Schwierigkeit des Zauberspruchs ab, den er verwendet hat. Und das hängt mit der Magie zusammen, die hier funktioniert.« Er öffnete die Augen und zuckte mit den Schultern. »Darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Laß mich den Brief mal ansehen.« Er streckte die Hand aus. »Ich … «
»Nein!« Es war für Jason schon schlimm genug, daß man ihm die Fähigkeit zu lesen weggenommen hatte, zumindest, wo es erforderlich wäre. Er wollte nicht ein Mensch zweiter Klasse werden. »Nein! Lies du den Brief vor. Laut. Gib uns allen die Chance, ihn gleichzeitig zu hören und zu verstehen.«
Ahira nickte. »Fang an.«
Sie begann, auf Erendra zu lesen, und machte nur ab und zu eine Pause, um Luft zu holen.
Liebe Freunde,
bitte, nehmt meine ehrlich gemeinte Entschuldi gung an, weil ich Euch nicht davor gewarnt habe, was passieren würde. Ich bedauere es sehr, wenn Ihr irgendeinen Schmerz erleiden mußtet. Aber ich hatte wirklich keine Wahl: Hätte ich Euch gewarnt, hättet Ihr mir niemals geglaubt.
Ich bin sicher, daß Ihr Euch inzwischen wieder gefunden habt und in der Welt seid, die ich in den kleinen Spielen, die wir gemeinsam gespielt haben, entworfen habe. Es waren aber gar keine Spiele.
Ich möchte Euch nicht langweilen, indem ich lang und breit ausführe, welche Schwierigkeiten ich schon als Kind hatte, da ich nämlich die Fähigkeit besitze, in eine andere Welt hineinzusehen – in die Welt, in der Ihr Euch nun befindet, wenn Ihr diesen Brief lest. Selbstverständlich bin ich nicht der einzige, der je diese Vision hatte. Allerdings schmeichle ich mir, daß niemand sie je so klar hatte. Das heißt aber nicht, daß es jemals sehr klar ist. Die unterschiedlichen Zeitmaße unserer zwei Welten haben immer die Ereignisse auf der anderen Seite – Eurer Seite – so schnell ablaufen lassen, daß man ihnen nur mit Mühe folgen konnte, selbst wenn meine flüchtigen Visionen so stark sind, daß sie mir die Sinne rauben.
Meine Freunde, ich verzehre mich nach dieser Welt. Hätte man mir die Möglichkeit hier geboten, weiß ich, daß ich der mächtigste Magier wäre, den diese Welt je erlebt hat. Wäre ich imstande, mich hineinzuversetzen, wie Ihr es getan habt, hätte ich es getan.
Aber ich vermag es nicht. Magie funktioniert in den beiden Welten unterschiedlich. In unserer ist sie eine unberechenbare Macht. Seit zwanzig Jahren habe ich mich bemüht, materielle Gegenstände überzusetzen, mit einem Erfolg, der nur leicht über einem Prozent lag. Das muß ich Euch schreiben. Immer haben die Gegenstände sich verändert. Erst seit jüngster Zeit habe ich es geschafft, diese Veränderungen unter Kontrolle zu bekommen.
Bei Menschen oder anderen empfindungsfähigen Geschöpfen liegt der Fall anders. In unserer Welt gibt es eine Macht, die man das kollektive Unbewußte nennt, welche den Übertritt für solche Wesen unmöglich macht. Einfach gesagt – Ihr alle gehörtet in unsere Welt, und ich konnte Euch nicht hinüberversetzen, solange dieser Zustand Geltung hatte.
Es gibt nun aber eine Fülle von Beweisen, wonach Individuen von dem kollektiven Unbewußten frei gemacht werden konnten, und – unter den entsprechenden Bedingungen – von einer Welt in eine andere versetzt wurden. Benjamin Bathurst und Ambrose Bierce sind die besten Beispiele dafür. Zweifellos hat es noch andere gegeben.
Während ich dies schreibe, weiß ich nicht, ob ich imstande sein werde, diese Bedingungen erfolgreich nachzuvollziehen. Ich weiß nur, daß ich es nicht für mich tun kann. Ein Folgesatz der Identitätshypothese – der Einheit von Sein und Denken – mag das tatsächlich für jemanden, der auf unsere Welt beschränkt ist, unmöglich machen.
Aber während Ihr diese Zeilen lest, wißt Ihr, daß es mir gelungen ist, diese Bedingungen nachzuvollziehen, mit Hilfe vieler Vorbereitung und Eurer Teilnahme an unserem Spiel. Ich weiß nicht, wer Ihr seid – während ich dies schreibe. Ich habe verschiedene Kombinationen von Verzauberungen und alle möglichen Individuen schon mehrere Jahre lang ausprobiert und an vielen Orten Nachschublager angelegt. Diese Stellen waren immer die Orte, von denen unsere
Weitere Kostenlose Bücher