Hüter der Flamme 01 - Die Welt des Meisters
nahmen drastisch ab, ebenso manuelle Geschick lichkeit und Waffenfertigkeit. Geschwindigkeit wurde nicht beeinflußt, ebensowenig Charisma – aber die Ausdauer stieg auf eine Ebene, wo nur ein tödlicher Streich dich verlangsamen konnte.
Später mußte man dafür allerdings büßen. Mehrere Runden, nachdem man aus dem Berserkerzustand zurückgekehrt war, war man so schwach wie ein Kätzchen.
Aber solange man Berserker war, konnte man vernichten, zerbrechen und zermalmen.
Oder dabei drauf gehen.
Ahira befühlte die dicken Ke tten. Vielleicht konnte er sie nicht mal als Berserker sprengen?
Ganz gleich. Es ist ihre – ist unsere einzige Chance.
Er hob den Kopf. »Karl. Es ist soweit!«
»Alles klar.« Cullinane nickte langsam. »Versuch, daran zu denken, daß du uns auch losmachst.«
»Werde ich. Aber noch etwas: Solange ich weggetreten bin, führst du das Kommando. Bringe alle weg, wenn du irgendwie kannst. Mach dir wegen mir keine Sorgen. Ich werde … «
»Nein.«
»Keine Widerrede!« Das war kein Spiel mehr. Amateurheldentum war ja ganz nett am Mahagoni tisch im Studentenheim. Aber nicht hier. »Sobald ich mich ausgerastet habe, kannst du nicht mehr ver nünf tig mit mir reden. Ich werde nicht wegrennen. Ich werde gar nicht rennen können.«
Cullinane lachte kurz. »Ich dachte, du hättest gesagt, daß ich das Kommando führen sollte, sobald du weggetreten bist?«
Ahira seufzte. »Hakim, rede du mit ihm!«
Der Dieb schüttelte den Kopf. »Das brauche ich nicht. Sobald er deine Verantwortung übernommen hat, sieht er es schon selbst. Aus dem Grund hast du ja auch ihn statt mich dazu bestimmt, ja, mein Freund?«
»Allerdings.« Ahira lehnte sich zurück an die rauhe Oberfläche der Wand. »Es ist Zeit. Wir haben lange genug gewartet. Paßt gut auf euch auf.«
Es gab nur eine Art, es zu tun. Tief nach innen greifen und einen Kern heißer Wut, hemmungsloser Raserei finden …
Und das brennen lassen.
Sonderschulen – so nennen sie sie. Als ob das Dasein als Behinderter ein Art Auszeichnung wäre. Spezialklassen, außergewöhnliche Kinder – klang das nicht wirklich Klasse?
Mrs. Hennessy – so hieß sie. Eine kleine, rothaarige Frau mit verkniffenem Gesicht, immer etwas zu gut angezogen, verströmte den schleimigen Balsam, den die besten Seminare für Sonder schullehrer beibrachten. Aber diese Seminare hatten es nicht geschafft, aus ihrem edlen Haupt die Vorstellung zu vertreiben, daß in einem krummen Körper auch ein verkrüppeltes Gehirn wohnen mußte.
Sie hob den Kopf von dem Pult neben ihm, wo sie geduldig der kleinen Jaqueline Minelli wahrscheinlich zum dreißigstenmal erklärt hatte, daß das kleine lila Klötzchen tatsächlich in das kleine lila Loch gehörte. »Was ist denn, Jimmy?«
Er hatte diese Koseform immer schon gehaßt. Selbst seine Eltern hatten angefangen, ihn James Michael zu. nennen, als er in die erste Klasse gekommen war. Und das war vor sechs Jahren gewesen.
Aber man nannte einen behinderten Jungen nicht bei seinem richtigen Namen. Ein Kosename, möglichst einer, der mit einem Vokal endete – so verlangte es die Etikette. Und was war, wenn dieser Behinderte zufällig ein geistig völlig normaler Junge war, der an Muskelschwund litt? Verlangte das nicht nach einer anderen Etikette?
Nein, natürlich nicht. »Ich habe genug von diesem Blödsinn.« Er schob mit den Kanten seiner ungeschickten Hände die Mathematikaufgaben beiseite, so daß die Blätter auf den Fußboden fielen.
Sie stolzierte herüber und fing erschöpft an, die Blätter einzusammeln. »Jimmy, das war aber häßlich von dir.« »Ich heiße James Michael. Und ich löse so be schissen ein fache Rechenaufgaben, seit ich zehn war.« »Das war aber kein hübsches Wort … « »Ich habe gottverdammt die Schnauze voll, wie eine halbe Person behandelt zu werden. Leck mich am Arsch, blöde Sau!« Sie gab ihm eine Ohrfeige.
Natürlich hielt sie sich sofort vor Entsetzen über sich die Hand vor den Mund und verbrachte den Rest des Tages, sich immer wieder zu entschuldigen.
Rückblickend gesehen, war diese Ohrfeige das Netteste, das je ein Lehrer für ihn getan hatte.
Ahira zog etwas an den Ketten. Dann fester und fester. Noch nicht.
Auf dem Gang des Studentenheims rief jemand laut: »He! Hat jemand Lust, mit auf ein Bier zu gehen?«
Sein Zimmergenosse-Wärter-Betreuer hatte ihn bereits ins Bett gebracht und war zur Bibliothek gegangen. Sicher, er hätte jemanden bitten können, ihm wieder aus dem Bett zu helfen
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