Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
dunkel wird ... ‹
Alles fließt; nichts steht still. Heraklit
Ziemlich früh am Morgen klopfte Vator der Gastwirt gegen die hölzerne Leiter zum Heuboden, um Jason zu bedeuten, daß ein Frühstück aus frischem, dunklem Brot und rohen Zwiebeln auf ihn wartete. Zum Reden schien er nicht aufgelegt zu sein. Während Jason die kärgliche Mahlzeit verspeiste, ließen er und Vator die Pferde in den Hof.
Anschließend murmelte Vator etwas von Geschäften mit dem Schmied unten in der Straße und ging, nachdem er Jason aufgetragen hatte, die Ställe auszumisten.
Jason blieb sich selbst überlassen. Der dicke Mann war einfach zu beschäftigt, um ihn zu beaufsichtigen. Seine teiggesichtige Frau und die drei zerlumpten Kinder waren keine Hilfe, da sie tagsüber auf dem kleinen Stück Land außerhalb der Stadt arbeiteten, von dem Vator Korn und Gemüse für Mensch und Vieh erntete.
Er hatte immer behauptet, harte Arbeit bilde die Seele; Jason bemerkte davon nichts. Allerdings - vieles von dem, was sein Vater sagte, ergab für Jason keinen Sinn. Obwohl er Pferde gern hatte, vermochte er nicht einzusehen, weshalb es bereichernd sein sollte, bis an die Knöchel im Mist zu stehen, während der Gestank sich mit dem Nachgeschmack eines sehr eigenwilligen Frühstücks vermischte und eine zunehmende Übelkeit erzeugte.
Es ergab wirklich keinen Sinn.
Viele Dinge ergaben keinen Sinn.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten um den Stiel der spatenförmigen Mistgabel, als das Bild von Valeran aus seiner Erinnerung aufstieg, wie er rücklings zu Boden fiel und rings um den Messergriff, der aus seinem rechten Auge ragte, das Blut emporquoll ...
Nein. Geh weg.
Er hatte nicht gut geschlafen; immer wieder war er aus furchtbaren Träumen hochgeschreckt. Das war nicht ungewöhnlich, er hatte schon immer Alpträume gehabt, so lange er zurückdenken konnte. Während zu vieler Nächte hatte er sich selbst durch riesige Lachen aus Blut und Schleim waten gesehen, begleitet von freundlichen Gesichtern, die sich plötzlich in gräßliche Fratzen mit ungeheuren Reißzähnen verwandelten, denen zäher Speichel aus den Mundwinkeln troff, um sich auf dem Boden zu brodelnden, zischenden Pfützen zu sammeln.
Meistens war er unterwegs; während der ersten Jahre mit dem Stoßtrupp, später in Amtsgeschäften. Also weckten Jasons Schreie die Mutter. Sie kam herein, weckte ihn behutsam und hielt ihn in den Armen, wobei immer ein Lächeln auf ihrem Gesicht lag, als wäre es eine große Freude, seine bösen Träume zu verscheuchen.
Wenn das nichts half, murmelte sie rasch einige Worte, die man sich nicht merken konnte, und ihre Finger bogen und krümmten sich zu merkwürdigen und machtvollen Gesten, mit denen sie Lichter aus der Dunkelheit herbeirief, leuchtend rubinrote, smaragdgrüne und aktinisch blaue Tupfer, die in einem beruhigenden Tanz umeinanderwirbelten.
Hin und wieder, sofern sie sich nicht gerade in Heim aufhielt und er in Biemestren oder umgekehrt - das war ziemlich häufig der Fall -, legte Aeia sich zu ihm ins Bett und hielt ihn fest, bis er meinte, dafür zu alt geworden zu sein.
Zweimal, soweit er sich erinnern konnte, war Karl Cullinane zu Hause gewesen und hatte Jasons Alpträume miterlebt. Beide Male hatte er neben Jasons Bett gesessen und die ganze Nacht hindurch seine Hand gehalten, auch wenn er gelegentlich eingenickt war.
In letzter Zeit war es Valeran gewesen, der von seinen Schreien aufgeweckt wurde.
Der alte Kämpe hatte eine andere Methode; er pflegte Jason eine Tasse starken Kräutertee aufzubrühen und erzählte Geschichten von früher, Selbsterlebtes und manches, das er selbst nur vom Hörensagen kannte. So erfuhr Jason von den Schlachten während der kathardhischen Kriege, von der Eroberung Holtuns nach der Thronbesteigung seines Vaters, und er hörte Geschichten über Ch'akresarkandyn, den Kathardher, der im Kampf um das Pulver der Sklavenhändler sein Leben gelassen hatte. Jason erinnerte sich an Chak und lächelte nachsichtig, wenn Valeran von ihm als einem kleinen Mann sprach. Klein, hah! Chak war ein sanftmütiger Riese gewesen.
Jason hörte stets aufmerksam zu, und für ihn hatte jede Geschichte ihren Titel. Erzähl mir Wie-Tennetty-Ihr-Auge-Verlor, bat er. Oder Daven-Und-Der-Sklavenhändler. Oder Wie-Er-Ohlmin-Tötete. Letzteres war seine Lieblingsgeschichte; sie handelte davon, wie er und Onkel Walter die hundert Sklavenjäger töteten, die Mutter wehgetan hatten.
Valeran ließ keine Einzelheiten aus: die
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