Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
Landes und erfasste in einem kurzen Augenblick die weiter unten in ihren Autos ausharrenden und fluchenden Fahrer, die sich zusätzlich zu dem obligatorischen Stau über die Baustelle ärgerten. Zu Mosches Rechten ragte der antike Hügel empor, über den die sengende Sonne knapp herüberschaute. Nur wenige Hundert Meter entfernt hatte man 1979 bei archäologischen Ausgrabungen ein Grab aus der Zeit Jeremias gefunden. Es konnte zweifelsfrei auf das 7. Jahrhundert vor Christus datiert werden. In diesem Grab fand man zwei Amulette in Form zusammengerollter Silberbleche, auf denen der aaronitische Segen eingraviert war. Dieser Inschriftenfund war bislang der älteste Fund, der außerhalb der biblischen Texte die Realität der israelischen Vergangenheit bezeugte. Darüber hinaus fand ein Archäologe im Jahre 2001 durch Zufall eine Grabanlage ganz in der Nähe, in der zerbrochene Knochen, ein Leinentuch sowie eine von Grabräubern zerstörte Knochenkiste gefunden wurden. Nach einigen Forschungen gab man über die Medien bekannt, dass der Tote ein Leprakranker aus der Zeit Jesu war, der infolge seiner Immunschwäche an Tuberkulose verstorben sei. Die Welt war erstaunt darüber, wie gut die menschlichen Überreste dieses Mannes nach 2000 Jahren noch erhalten waren. Sogar das Leinentuch befand sich trotz Sauerstoffeinwirkung in gutem Zustand. Diese Funde ließen selbstverständlich sämtliche Alarmglocken bei den Verantwortlichen der israelischen Altertumsbehörde klingeln, als von Bauvorhaben im Hinnomtal die Rede war.
Mosche betrachtete die Stelle, auf die Avner ungeduldig hindeutete. Der wies auf den Hang. »Ich kann hier mit der kleinen Hacke das weiche Gestein bearbeiten, siehst du? Aber daneben beginnt irgendwie eine harte Platte. Sie verläuft senkrecht nach unten wie eine Tür und scheint nicht natürlicher Art zu sein, sondern wirkt eher, als sei sie von Menschen aus einem großen Block herausgehauen worden. Siehst du diese Schliffspuren?«
Mosche wischte sich erneut den Schweiß aus den Augen und betrachtete die scharfen Abgrenzungen der Gesteinslagen. Sein archäologischer Spürsinn erwachte. Er war schon an vielen Ausgrabungen beteiligt gewesen. Vier wichtige Stätten waren mithilfe seines perfekten Feingefühls im Umgang mit Baumaschinen freigelegt worden. Erst ein Jahr zuvor war die Baufirma seines Chefs für die städtische Infrastruktur Jerusalems verantwortlich gewesen, wobei Mosche an der Ramallah-Straße auf alte Ruinen gestoßen war. Die IAA wurde umgehend benachrichtigt und entschied, die Bauarbeiten einzustellen und mit Ausgrabungen zu beginnen.
Drei Monate lang musste Moriah auf die Fortsetzung der Baumaßnahmen warten, und genauso lang gingen keine Zahlungen für diesen Streckenabschnitt auf Mosches Konto ein, weil ein archäologisches Fundstück nach dem anderen in den Ruinen einer alten jüdischen Siedlung aus der Zeit um 60–70 nach Christus geborgen wurde. Dieser Fund war eine Sensation gewesen: Gefäße in vielen Formen und Größen, sowie Glasflaschen und teure Bassins aus Stein wurden in mühevoller Kleinarbeit freigelegt und konserviert. Nachdem alle Funde der IAA übergeben wurden, ließ man die Ausgrabungsstätte wieder zuschütten. Inzwischen fuhr eine Straßenbahn darüber.
Avner begann unter den kritischen Augen Mosches, das weiche Kalksandgestein zu entfernen und nach einer weiteren Stunde blickten sie auf eine kreisrunde granitartige Platte, die einen Hohlraum zu versiegeln schien. Nun wurde auch Avner vom Ausgrabungsfieber gepackt, denn das, was sie dort sahen, ließ verwegene Vermutungen in ihnen aufkeimen. Mosche griff nach einem am Boden liegenden Spitzhammer und arbeitete den Übergang der Platte zum dahinterliegenden Gestein frei. Der Gedanke an einen pünktlichen Feierabend oder an die Einhaltung der zeitlichen Bauvorgaben war verschwunden. Sogar sein Geburtstag rückte in weite Ferne. Hastig strich er mit der Spitze des Hammers in der von ihm geschaffenen Rille entlang. Die Deckplatte war nun vollständig freigelegt und an der linken Seite tat sich ein Spalt auf, der die Breite eines Knopfes hatte. Als Mosche sich dieser winzig kleinen Öffnung näherte, strömte ein unangenehm muffiger Geruch in seine Nase. Alle seine Sinne waren jetzt geschärft und schrieen ihm zu, dass das, was sie soeben gefunden hatten, nur einen Schluss zulassen konnte: Die runde Steinplatte war senkrecht aufgestellt worden und hatte offensichtlich eine Höhle oder einen dahinterliegenden Raum
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