Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
wenig wohler.
Richard schlich durch die Räume seines Hauses und ihm fiel ein, dass es an der Zeit war, in der Firma den Beginn einer neuen Erfolgsserie zu feiern. Jetzt, da die Lanze in seinem Besitz war, würde der Segen auf seiner Seite sein, wie sie zu allen Zeiten den Menschen zu Ruhm und Wohlstand verholfen hatte. Er ging unerschütterlich davon aus, dass es einen sprunghaften Anstieg der Börsenkurse geben würde, also den Sieg in der modernsten aller Schlachten. Er hielt es für eine gute Idee, sich nach all den Erfahrungen der letzten Wochen, abzulenken. Er wollte raus aus seinem Haus. Die Leere darin erdrückte ihn, und er verspürte den starken Drang, unter Menschen zu kommen, besonders unter jene, mit denen er befreundet war oder die er kommandieren konnte.
Im Wagen versuchte er, die Schatten seiner Angst zu vertreiben. Ein Konglomerat verworrener Gefühle, die in eine vernünftige Spur geführt werden mussten: Da war die Trauer über den Tod seines Vaters, die bedrohlichen Wahrheiten über diese ominöse Gesellschaft, und vor allem die Furcht vor einem Aufdecken seiner abscheulichen Taten. All dies beschäftigte ihn, nicht in einer Weise, die ihn reumütig gemacht hätte. Dass unmittelbar durch seine Hand ein Mensch gestorben war, kümmerte ihn wenig, und dass er indirekt der Auftraggeber eines weiteren Mordes war, noch weniger. Es musste sich alles einem höheren Ziel unterordnen, und dass ein oder zwei Menschen den Tod dabei fanden, erschien ihm legitim. Kollateralschäden , nannte er es.
***
Mosche hielt das schwere Buch über Numismatik auf seinem Schoss. Er besaß die uneingeschränkte Aufmerksamkeit seiner beiden Zuhörer. »Ich wusste, dass ich diese Münzen schon einmal irgendwo gesehen hatte.« Mosche zeigte mit dem Finger auf drei Fotos, auf denen antike Münzen abgebildet waren. »Es ist genau, wie ich es auf dem Grabhügel vermutet habe. Seht her. Das erste Foto zeigt eine Münze aus der Zeit um 29 nach Christus.« Mosche drehte das Buch zu Lea und Smith um.
»Auf der Vorderseite der Münze ist ein sogenanntes simpulum zu sehen und ringsumher die griechische Aufschrift ›Tibeíou Kaísaros‹, mit anderen Worten:› des Kaisers Tiberius‹.«
»Was bitte, ist ein simpulum?«, fragte Lea.
»Eine Art Trankopfergefäß. Es wurde zur damaligen Zeit für heidnische Kulte benutzt.«
Lea nickte. Einstweilen genügte ihr diese Antwort. Mosche schlug eine Seite um. »Auf der Rückseite der Münze sind drei zusammengebundene Gerstenähren zu sehen und der Name der Kaiserin ›Joulia Kaisaros‹. Diese Münze ist definitiv aus dem Jahr 29, also ›LIS‹. Doch jetzt passt auf.« Mosche sah sich im Restaurant zu allen Seiten hin um, als befürchte er, belauscht zu werden. Er tippte begeistert mit dem Finger auf das nächste Bild. »Hier seht ihr«, und nun sprach er deutlich leiser als vorher, »ein Abbild der Münzen, die in der Grabkammer lagen. Ganz deutlich ist auf der Vorderseite das Lituus, der Augurenstab, und im Kreis der Name des Kaisers Tiberius zu sehen.« Smith und Lea rückten dichter zusammen. »Auf der Rückseite finden wir das gleiche Bild wie auf den Münzen, die wir gefunden haben: einen Kranz von Ähren und in der Mitte ganz deutlich zu lesen unser ›LIZ‹.« Mosche schlug eine Seite um. »Okay, das letzte Bild ist eigentlich nicht mehr wichtig, aber es zeigt die Münze, die ein Jahr später geprägt wurde. Sie sieht ähnlich aus wie die Vorige, nur dass eben in der Mitte nun ›LIH‹ steht, sie also aus dem Jahr 31 stammt.« Mosche lehnte sich in seinem Korbsessel zurück, der sich seiner Körperform knatschend anpasste.
Der Professor ergriff das Wort. »Gute Arbeit, Mosche. Wirklich unglaublich. Doch wieso sind keine Bilder des Kaisers oder von Pilatus auf der Münze?«
»Ganz einfach. Weil der Kaiser und der Statthalter zu jener Zeit ausnahmsweise das Bilderverbot der Juden respektierten. Doch schon der Sohn von Herodes, Philippus, setzte sich wieder darüber hinweg. Deshalb ist der zeitliche Rahmen für die Verbreitung der Münzen so gut einzugrenzen.«
»Und was hat es nun mit diesem Gefäß auf sich?«, fragte Lea und beugte sich zu Mosche vor.
»Das simpulum diente den heidnischen Priestern als Schöpfkelle. Sie schmeckten den Wein damit ab, den sie anschließend dem Tier, das geopfert werden sollte, über den Kopf schütteten. Man ging eine Zeit lang davon aus, dass Pilatus diese Münzen aus reiner Provokation prägen ließ. Da er kein Bildnis des
Weitere Kostenlose Bücher