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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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mehr auf. Ihre Lebensgeister waren zurückgekehrt, obwohl es nur noch eine Stunde bis Mitternacht war. Sie erzählte aus ihrer Kindheit, ihrer Zeit in Rom und ihrer Familie; und all das in einem Überschwang und einer Geschwindigkeit, die Huber die Sinne raubten. Nachdem er dreiviertel des Weins allein getrunken hatte, war die Aufnahmekapazität seines Geistes an einem dumpfen, aber angenehmen Nullpunkt angelangt, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dem nächsten Morgen in einem komaähnlichen Zustand entgegenzuschlafen.
     
    Als sie ihr Zimmer betraten, wurde Raphaela ruhiger. Alois hatte den ganzen Abend an nichts anderes denken können, als daran, dass er in Kürze neben einer wohlriechenden attraktiven Frau schlafen würde. Oder musste, je nachdem von welchem Standpunkt aus man es betrachtete. Raphaela schlug die gemeinsame Decke auf, holte aus ihrer Tasche ein cremefarbenes Negligé und verschwand im Bad. Es war schon eine sonderbare Situation, die sich hier anbahnte. Sie war bezaubernd, keine Frage, und auch Alois war ein durchaus attraktiver, gut gebauter Mann in den besten Jahren. Und doch bedeutete das Zusammentreffen dieser Parameter nicht automatisch, dass sich eine wilde und hemmungslose Nacht voller romantischer Gefühle daraus entwickeln würde. Natürlich begehrte er sie, und falls sie sich ihm unter der gemeinsamen Decke nähern würde, würde es für ihn auch kein Halten mehr geben. Die lange Abstinenz würde seine Schleusentore der Lust öffnen – und sie war gewiss keine Frau, die nicht wusste, wie sie das anzustellen hatte.
    All diese Gedanken beschäftigten ihn, während er sich langsam auszog. Er wollte warten, bis sie aus dem Bad kam. Er würde sie genau anschauen, kurz und verstohlen nur, in den wenigen Sekunden, die ihm bleiben würden, bis sie unter der Decke verschwunden war. Vielleicht würde sie ihn ja von sich aus in die Arme nehmen und allen Trieben freien Lauf lassen. Huber wurde schier wahnsinnig an diesem Abend, während in seinem Hinterkopf die Worte seiner Frau erklangen, die ihn immer wieder als hormon- und triebgesteuert bezeichnet hatte. Hatte sie nun recht oder nicht?
    Das war die Frage, die ihn quälte. Und eigentlich wollte er seiner Ex gern beweisen, dass sie unrecht hatte.
    Raphaela kam mit einem unanständig lauten Gähnen aus dem Bad. Sie sah zum Anbeißen aus, zum Schmusen, zum Kuscheln, zum Sich-in-ihr-verlieren, doch das demonstrative Gähnen dämpfte Hubers Erwartungen bezüglich einer lustvollen Liebesnacht gewaltig. Er ging zur Toilette, wusch sich unter den Armen und an anderen Stellen, putzte sich die Zähne und trug, als er fertig war, außer seiner Unterhose nichts mehr am Leib. Er blickte an sich herab und stellte fest, dass selbst die große Menge Alkohol, die er getrunken hatte, die Libido noch nicht vollends zum Erliegen gebracht hatte. Sollte er den Anblick, den er ihr bot, nun fürchten, oder würde sie ihn betrachten und ihre Müdigkeit schlagartig vergessen?
    Er ließ es auf einen Versuch ankommen und betrat beinah schüchtern das Doppelzimmer. Das große Deckenlicht und die Nachttischlampe an Raphaelas Bett waren ausgeschaltet, nur die kleine Lampe an seinem Bett brannte noch. Zunächst konnte er außer der Silhouette einer auf der Seite liegenden Frau nichts erkennen. Ihre Haare waren ihr ins Gesicht gerutscht, und der Ausdruck auf diesem Gesicht war derart friedlich, dass dies nur eines bedeuten konnte: Sie schlief schon.
    Huber rutschte vorsichtig unter die Decke und fragte sich, ob er sie aufwecken oder schlafen lassen solle. Er entschied, dass es einer Vergewaltigung gleichkommen würde, sie zu wecken. Aber vielleicht tat sie nur so und wollte überredet werden. Alois betrachtete Raphaela eine Weile, doch ihre Augen blieben geschlossen und auch ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Wie lange war das nun schon her – dachte er –, dass er neben einer Frau gelegen und sie mit hungrigen Augen angesehen, nein, anstarrt hatte? Er stellte fest, dass er Raphaela zwar begehrte, aber nichts tun wollte, was sie verärgern oder verletzen würde. Und diese Erkenntnis konnte nur eines bedeuten: Er hatte sich verliebt. Diese Möglichkeit schob sich langsam aus seinem Unterbewusstsein in seine Gedanken vor. Konnte das sein? Es war inzwischen ein Uhr morgens, und Raphaela hatte somit schon eine ganze Stunde Schlaf hinter sich.
     
    Noch immer brannte die schwache Funzel an seiner Seite, doch er wollte sie nicht löschen, um sich dieses Anblicks nicht

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