Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
ungeheurer Wichtigkeit, den Kampfgeist der Kameraden zu stärken, indem sie stets das hohe Ziel einer Wiederauferstehung des alten germanischen Reiches mit all ihren Tugenden vor Augen trügen.
Nachdem ich aufgelegt hatte, sahen mich alle mit fragenden Augen und offenen Mündern an und klopften mir mit einer Mischung aus Neid und ehrlicher Freude auf die Schulter. Ich musste ihnen natürlich Wort für Wort berichten, ansonsten hätten sie keine Ruhe gegeben.
An diesem Tag war ich der Held der ganzen Redaktion, und ich gebe zu, ich habe es genossen.
Bisher wusste ich eigentlich nicht viel von dem Mann an der Spitze der SS, nur, dass er ein Faible für das alte Germanentum pflegt, und dies hat er ja gestern überaus deutlich zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls sagte er noch, er würde mich wohlwollend im Gedächtnis behalten.
Schneider ließ das Buch auf seine Knie sinken und starrte in den Raum. Mein Vater hat mit Heinrich Himmler telefoniert, unvorstellbar. Zügig las Richard weiter. Sein Herz hämmerte, und seine Handinnenflächen wurden feucht.
30. März 1939
Ein ruhiger Tag in der Redaktion. Es war kalt, denn die Heizungen fielen für mehrere Stunden aus. Ich hatte so steife Finger, dass mir das Tippen schwerfiel. Ich arbeite wieder an einem Artikel über den Führer und seine Weitsicht vom Großdeutschen Reich.
31. März 1939
Ich hatte eine schlimme Nacht. Mein Hals schmerzt, als würden tausend Nadeln darin herum stechen, und mein Kopf glüht wie ein Ofen. Habe Herrn Traunstein gebeten, mich für einen oder zwei Tage zu beurlauben.
1. April 1939
Habe heute Hitlers Rede aus Berlin im Radio verfolgt. Er war Chamberlain gegenüber ziemlich aufgebracht, da dieser seine Außenpolitik ändern will und Polen Hilfe für den etwaigen Verlust seiner Unabhängigkeit zusichert.
4. April 1939
War in den letzten Tagen zu keinem Tagebucheintrag fähig. Es ging mir hundeelend. Dr. Schweitzer war da und hat mir Wadenwickel gemachter sprach von einer Viruserkrankung.
7. April 1939
Es gibt Nachrichten über deutsche Truppenbewegung an der polnischen Grenze. Vielleicht auch nur ein Gerücht. Die Deutschen haben keine Lust auf einen weiteren Krieg. Viele haben den Letzten noch nicht verkraftet. Ich liege noch immer mit leichtem Fieber im Bett.
8. April 1939
Endlich geht es mir besser. Dr. Schweitzer hat mich mit Mühe wieder auf die Beine gebracht. Freue mich auf die Arbeit morgen. Ich weiß gar nicht mehr, was so passiert in der Welt, denn zu allem Übel funktioniert nun auch mein Rundfunkempfänger nicht mehr.
9. April 1939
Was für ein Tag. Mein Schreibtisch quoll über vor Arbeitsaufträgen, Leserbriefen und Notizen über Anrufe. Es hatten sich Leute über meine Kolumne beschwert. Die meisten Leser waren jedoch begeistert. Wenn Hitler mit seinem Gefolge an den johlenden Menschen vorbeifährt, könnte man den Eindruck gewinnen, Deutschland wäre sich einig in der Tatsache, dass es einen Führer braucht, der das Land aus dem Schlamassel herausbringt.
Doch wenn ich mir die überwiegend ohne Absender versehenen Briefe auf meinem Schreibtisch anschaue, in denen sich die Leute ihre Sorgen vom Herzen schreiben, dann sehe ich ein anderes Bild. Ein düsteres Bild, gemalt mit dem Pinsel der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung. Sie sehen die Entmündigung auf sich zukommen und weigern sich, das so ohne Weiteres hinzunehmen. In meinen Augen ist dies allerdings eine sehr beschränkte Sichtweise.
Traunstein war am Nachmittag sehr verstört. Er ließ mich in sein Büro rufen, hieß mich Platz zu nehmen und fuchtelte nervös mit den Fingern an seinem Bart herum. So hatte ich ihn noch nie erlebte. Er ist ein wirklich guter Vorgesetzter und ein feiner Kerl. Altersmäßig könnte er mein Vater sein, und oft benimmt er sich mir gegenüber auch so. Dabei ist es mir manchmal schon unangenehm, wie er mich den Kollegen gegenüber vorzieht.
Nachdem er eine Weile nicht zur Sache kam, fragte er mich, ob ich mir vorstellen könne, den Platz von Levi Goldberg in Berlin einzunehmen. Obwohl Levi nur einen jüdischen Großvater hatte, wurde er seitens der NSDAP-Spitze aus unserer Redaktion entfernt. Fristlos gekündigt, ohne Angabe von Gründen. Man hat ihn seitdem nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er zurück nach Hamburg gegangen. Er war ein ausgezeichneter Journalist, einer, der alles sah und doch von niemandem gesehen wurde; nachahmenswert. Vielleicht ist ihm gerade diese Eigenschaft zum Verhängnis geworden. Er hörte nämlich auch
Weitere Kostenlose Bücher