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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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dieselben SS-Männer ab, sprachen auch diesmal kein einziges Wort und straften mich mit eisiger Kälte, als missfiele es ihnen, einen Protegé in der Nähe ihres Chefs zu sehen. Als ich im Wagen saß, bemühte ich mich, mich auf das Gespräch mit H. vorzubereiten und beschloss, meine passive Haltung aufzugeben. Ich nahm mir vor, mein Notizbuch hervorzuholen und ihm, wie es für einen Journalisten normal ist, Fragen zu stellen.
    Er empfing mich mit der gleichen Höflichkeit wie beim letzten Mal und führte mich sogleich in das mir schon bekannte Nebenzimmer. Ich saß ihm in exakt derselben Position gegenüber wie beim ersten Besuch, und das Zimmer war in derselben peniblen Weise aufgeräumt. Ich legte meinen Block auf den Tisch vor mir und platzierte den Bleistift parallel zum Block. Himmler bemerkte diese, ihm offensichtlich wohltuende Ordnung, und ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht. Seine kleinen, hinter dem nickeligen Kneifer versteckten Augen, zuckten nervös, und mir schien, als wisse er diesmal nicht so recht, wie er das Gespräch beginnen solle.
    Schon beim letzten Mal war mir aufgefallen, dass er nicht die gleiche rhetorische Begabung besitzt wie Goebbels oder der Führer. Er bemühte sich in meiner Gegenwart zwar redlich, doch es schien ihm nicht zu gelingen, eine brillante Rede zu formulieren. Es war, als suchte er stets nach den treffendsten Worten, korrigierte sich dann aber mehr als einmal und formulierte den Satz neu. Er duldet wohl an sich keine verbalen Ungenauigkeiten, obwohl er es nur unzureichend versteht, diesen Missstand zu beheben. Er wirkt auf mich eher schüchtern, gar nicht so selbstsicher, wie man es von einem Mann in seiner Position erwartet. Eher ein gut bürgerlicher, unscheinbarer Mann. Sein dünner Schnurrbart soll wohl sein Gesicht männlicher erscheinen lassen, doch es bleibt trotzdem – nun wie soll ich es beschreiben – teigig und weich. Auch sein Körperbau, das fiel mir heute besonders auf, ist keineswegs athletisch und muskulös, sondern unsportlich und verkrampft. All diese Defizite scheinen ihn irgendwie zu stören, erst recht, wenn er mit Leuten zusammen ist, die seinem arischen Idealbild um ein Vielfaches mehr entsprechen als er selbst. Nun, ich kann sagen, dass mein Fuß der einzige Makel an meinem Körper ist. Ansonsten bin ich einen halben Kopf größer und von einer Schulter zur anderen um einiges breiter als er.
    Um die Peinlichkeit der Stille zu unterbrechen, holte ich meine Ledertasche hervor und überreichte ihm mein Manuskript: »Der Speer des Wikingers«. Langsam beugte er sich vor und nahm, wie von Ehrfurcht ergriffen, die gehefteten Seiten in seine überaus weißen Hände. Er blätterte sie genüsslich durch, ließ seinen Blick auf einzelnen Zeilen ruhen und schaute mich immer wieder verklärt an.
    Die Geschichte ist in den vielen Mußestunden der letzten Jahre meiner lebhaften Fantasie entsprungen und stellt nirgendwo den Anspruch, dass sie Bezug zur Realität nimmt. Umso mehr erstaunte mich seine Reaktion, als er sagte: »Lieber Herr Schneider. Was ich an ihnen schätze, sind ihre wahrhaft gelungenen Visionen. Nicht nur Ihre Artikel, nein gerade diese Geschichte über einen Speer… Auch ich bin fasziniert von ebensolch einer Waffe, einem geradezu schicksalhaften Speer, einer, wie soll ich sagen, göttlichen Lanze…« Dann machte er eine Pause, sah mich mit durchdringendem Blick an und fügte schließlich hinzu:»Ja tatsächlich. Sie sind ein Visionär – so wie ich … Ich werde es lesen, dessen können Sie sicher sein.«
    Jetzt wusste ich mit einem Schlag, warum ich hier bei ihm war, warum er mich schon in München angerufen hatte und warum er meine Artikel lobte: Die eher spielerischen Visionen, die ich schrieb, entsprechen für ihn ganz und gar der Vorstellung der Welt, die er zu gestalten versucht. Er hält alles, was ich schreibe, für bare Münze, obgleich ich doch nur ein Träumer bin, der sich gern verrückte Sachen ausdenkt. Er aber glaubt, er hätte in mir einen »Traumpartner« gefunden. Jemanden, der ihn in seinen Gedanken und Fantasien ernst nimmt, ihm hilft, sie zu bestätigen und, was mir am abwegigsten erscheint, sie für eine besondere Art Wirklichkeit vorzubereiten und in diese zu übertragen. Er erzählte mir von seinem Freund Hanns Johst , den ich natürlich kenne und als Schriftsteller verehre und schätze, zumindest was seine schriftstellerische Begabung betrifft. Der Hanns sei der einzige, der ihn »Heini Himmler« nennen

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