Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
dürfe und mit dem er rege Korrespondenz führe.
Dann sagte H. leise: »Ich würde mir wünschen, dass er meine Lebensgeschichte schreibt, doch der Hanns ist so beschäftigt, dass er dieses umfangreiche Werk wohl nicht schafft. Er hat soeben seine Schrift: ›Meine Erde heißt Deutschland. Aus dem Leben und Schaffen des Dichters‹ verfasst. Wissen Sie Herr Schneider, der Hanns ist ein Mann nach meinem Geschmack, und ich kann sagen, er verehrt mich. Seine Reime sind wunderbar. Haben Sie schon einmal etwas von Herrn Johst gelesen?«
Ich wollte gerade erzählen, wie mir dessen Werk »Lieder der Sehnsucht« gefallen hatte. Doch Himmler fiel mir ins Wort und referierte über den Roman seines Freundes von 1930 »Die Torheit einer Liebe«, den ich auch gelesen hatte. Es war wieder wie beim letzten Mal: Himmler genoss es, sich selbst reden zu hören und begriff sich als den brillanten Redner und mich als seinen ergebenen Zuhörer.
Doch dann, mitten im Satz, hielt er inne, sah mich mit leuchtenden Augen an und fragte: »Möchten Sie nicht meine Biografie schreiben, Herr Schneider?«
Ich stutzte einen Augenblick und so fügte er hinzu: »Wir sind seelenverwandt, das spüre ich. Das deutsche Volk braucht Wegweisung, selbst über meinen Tod hinaus. Eine gesunde Lehre über die Tugenden des Menschseins. Denken Sie, dass sie in der Lage wären, dies für mich zu leisten?«
Ich zögerte erneut und hielt meine Antwort zurück. »Bedenken Sie, Herr Schneider, dass Sie dadurch auch zu einem nicht unerheblichen Ruhm als Schriftsteller gelangen würden«, ergänzte er hastig und begann in mir einen Samen zu säen, der natürlich in mir Wurzeln schlägt. Welcher Autor will nicht bekannt werden?
Mit einer ausladenden Gestik und einem Blick gen Himmel gerichtet, schilderte Himmler eine Vision, die er in meinem Gehirn einpflanzen wollte: »Karl Wilhelm Schneider. Der Mann, der das ruhmreiche Leben des größten Visionärs der Menschheit aufgezeichnet und verewigt hat.«
»Ich werde es mir überlegen, Herr Himmler«, entgegnete ich und bemerkte sogleich seine bittere Enttäuschung darüber, dass ich seiner Idee keinen sofortigen euphorischen Zuspruch entgegengebrachte.
Was soll ich denn nun machen? Sicher hat er Recht damit, dass meine Karriere als Schriftsteller gesichert wäre – ohne Frage –, doch eine Biografie über den zweitmächtigsten Mann Deutschlands ist ein fragwürdiges Unterfangen, wenn es darum geht, seine Zukunft zu gestalten.
Nachtrag: Ich habe mir vorgenommen, in seiner Gegenwart die Haltung eines Politikers einzunehmen. Das heißt: Keine vorschnelle Absage, aber auch keine klare Zusage erteilen. Ich werde viel Zeit mit ihm verbringen und stets mein Notizbuch dabeihaben. Das gibt mir die Möglichkeit, das Zeitgeschehen aus der vordersten Reihe zu beobachten und zu kommentieren. Und – was schließlich auch nicht zu unterschätzen ist –, ich werde die Gelegenheit bekommen, die Gedanken und Ziele Himmlers durch meine Einwände mitgestalten zu können, denn offensichtlich schätzt er meine Artikel mehr als jeder andere.
1.Sept. 1939
Die Deutschen sind in Polen eingerückt. Man sagt, es sei ein Gegenangriff gewesen. Die Stimmung im Volk ist aber sehr bedrückt. Die Menschen sind keineswegs angriffslustig, sie wollen Frieden. Italien hat bekannt gegeben, dass es sich an diesem Krieg nicht beteiligen werde, obwohl § 3 des Achsen-Militärpaktes den militärischen Beistand zu Land, zur See und in der Luft vorsieht. Hitler ist darüber nicht besonders glücklich. Wenn morgen auch Frankreich und England eingreifen, würde ein weiterer furchtbarer Krieg in diesem Jahrhundert schreckliche Wirklichkeit.
2.Sept. 1939
Heute Nacht zum ersten Mal Verdunkelung. Ich fand es bedrückend, ja beängstigend. Kein einziger Lichtstrahl drang durch die Rollläden hindurch. Fliegeralarm um acht. Habe mir meine Gasmaske geschnappt und bin in den Keller gerannt. Hatte wirklich Angst. Konnte zunächst nicht schlafen, bin dann aber doch irgendwann erschöpft eingenickt.
3. Sept. 1939
Habe mit Traunstein telefoniert. Große Aufregung in der Redaktion. Traunstein ist völlig deprimiert. Es steht fest: Heute ist der offizielle Beginn des Zweiten Weltkriegs!!
4. Sept. 1939
Erster britischer Fliederangriff auf Wilhelmshaven und Cuxhaven. Erstarrte Gesichter bei allen Rundfunkhörern in der Berliner Redaktion.
8. Sept. 1939
Deutsche Truppen haben Warschau erreicht. Orchester spielte daraufhin: »Deutschland über alles« und das
Weitere Kostenlose Bücher