Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
jetzt mitten in der Nacht und ich muss gestehen, ich fühle mich auch so. Geben Sie mir nur ein paar Stunden Schlaf, mehr brauch ich nicht, und dann werden wir in Ruhe ihren Fund betrachten.«
Lea war enttäuscht, versuchte aber dies, so gut es ging, zu verbergen. Der Kaffee hatte nicht die gewünschte Wirkung gezeigt, und so musste sie, ob sie wollte oder nicht, dem Professor recht geben. »Es tut mir leid, Herr Professor, dass ich so forsch bin. Sie haben recht. Die Jungs im Keller können auch noch bis morgen warten. Sie werden uns ja nicht weglaufen.«
Trotz seiner Müdigkeit musste Smith über diese Bemerkung schmunzeln.
»Ich habe für sie ein Zimmer im ›King David‹ und eins im benachbarten Hospiz reserviert. Der Anlass würde ein standesgemäßes Logieren im ›King David‹ rechtfertigen, doch wie ich mir habe sagen lassen …«
Smith nickte. »Genau. Ich denke, ich wohne lieber im Hospiz, wie vor drei Jahren. Es hat mir dort gut gefallen, und um ehrlich zu sein: Ich gebe nicht viel auf den Prunk eines First-Class-Hotels. Erst recht nicht in Israel. Wenn ich in diesem Land bin, schätze ich die Einfachheit, die auch Jesus vorgezogen hätte.«
Lea ließ diese Bemerkung unkommentiert im Raum stehen. Sie kannte die religiösen Ansichten des Professors aus Gesprächen mit ihren Kollegen, auch, wenn ihr persönlich das alles auf die Nerven ging. Aber es war eine bekannte Tatsache: Wenn man in diesem sogenannten ›Heiligen Land‹ lebte, musste man akzeptieren, dass sich hier Vertreter aller erdenklichen religiösen Spielarten versammelten. Moslems an der Seite von Juden und Christen sämtlicher Kirchen, die nicht immer friedlich miteinander zusammenlebten und doch alle von sich behaupteten, im Recht zu sein. Lea hatte für sich entschieden, sich aus all dem raus zu halten. Sie bevorzugte es, nüchterne Fakten zu betrachten.
Die Archäologin öffnete dem Professor die Tür ihres alten weißen Nissans, dessen Beulen in den Kotflügeln in Israel eher eine Zierde waren. Was hätte es genutzt, den Wagen in die Werkstatt zu bringen? Binnen kurzer Zeit wären die Beulen und Kratzer ja doch wieder da gewesen.
Der Weg zum Hospiz war nicht lang, und nach dem anstrengenden Flug war Smith dankbar, dass er bereits nach kurzer Fahrtzeit in seinem Domizil ankam. Sie verabschiedeten sich im Eingangsbereich.
Der Professor gönnte sich noch eine Dusche, einen kleinen magenfreundlichen Snack aus der Küche und verschwand alsbald in seinem Bett. Normalerweise genügten ihm fünf Stunden Schlaf, in dieser Nacht schlief er das Doppelte.
Er wachte gestärkt und voller Tatendrang am nächsten Morgen auf.
Lea Weizmann wartete voller Ungeduld auf den Wissenschaftler und konnte es kaum erwarten, ihm endlich ihre Fragen stellen zu können. Smith hatte sein Tweed Jackett im Schrank hängen lassen und trug ein leichtes kurzärmliges Hemd und eine helle Leinenhose. Er hatte jedoch bei seiner Kleiderwahl vergessen, dass der Raum, in dem die Skelette lagen, auf unter zwanzig Grad heruntergekühlt war. Beim Betreten des sterilen Bereiches schwor er sich, am nächsten Tag auf jeden Fall einen Pullover mitzunehmen.
Leas braune Augen leuchteten, als sie nacheinander die Tücher über den Leichen entfernte. Ihr langes dunkles Haar war zu einem Zopf zusammengebunden und unter einer sterilen Haube verschwunden. Trotz des OP-Kittels, den sie trug, entging dem Professor nicht, dass Lea in den letzten drei Jahren kein Gramm zugenommen hatte und eine wohlproportionierte Figur besaß.
Er wendete den Blick von ihr ab und sah auf drei, fast unversehrte Skelette, die er nach kurzer Betrachtung der Beckenknochen als männlich identifizierte. Bedächtig schritt er um die drei Edelstahltische herum. Die Deckenlampen leuchteten den Untersuchungsbereich gleichmäßig aus und das Licht wurde von den weißen Fliesen an den Wänden reflektiert.
»Sie haben mir nicht zu viel versprochen«, nuschelte Smith in seinen Mundschutz hinein. Er murmelte die Ergebnisse seiner ersten Betrachtungen vor sich her, als würde er seiner Sekretärin die Daten diktieren. »Drei männliche Leichen, wobei sich zwei in Größe und Statue ähnlich sind. Sie weisen dieselben Merkmale an den Hand- und Fußgelenken auf. Beide haben zertrümmerte Schienbeine. All diese Befunde fehlen bei der dritten Leiche. Sie scheint unversehrt, als sei dieser Mensch eines natürlichen Todes gestorben.«
Smith blieb genau vor ihr stehen und betrachtete sie eingehend. »Diese ist um circa
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