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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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der Alliierten zu verhindern. Ich frage mich, welcher Deutsche das glauben soll. Goebbels Propaganda läuft auf Hochtouren. Die Redaktion wurde strengstens angehalten, sich an die Vorgaben zu halten, die die Zensoren ihnen eintrichtern. Es macht allmählich keine Freude mehr, deutscher Journalist zu sein, und ich glaube, Traunstein sieht das noch wesentlich dramatischer als ich. Was geschieht mit mir, wenn Traunstein seinen Hut nimmt oder gar entlassen wird? Muss ihn sofort sprechen, sobald ich wieder in München bin. Habe Sehnsucht nach Gudrun. Schätze, ich habe viel falsch gemacht. Was bin ich doch bloß für ein Idiot. Ich halte mich für wahrheitsliebend, doch ihr gegenüber bringe ich sie nicht raus. Die einfache Wahrheit, dass ich sie liebe.
    14. Juni 1940
    Das Oberkommando der Wehrmacht hat folgende Stellungnahme abgegeben: Paris ist in deutsche Hände gefallen. Hakenkreuze wehen im ganzen Land. Die französische Regierung hat sich zur Kapitulation bereit erklärt.
    17. Juni 1940
    Die Reaktionen der Deutschen auf Hitlers Errungenschaften beginnen sich zu wandeln. Natürlich wollen wir alle Frieden, doch zugegebenermaßen gilt er als der größte Imperator. Auf allen Plätzen und Straßen kam es heute zu lauten Freudenkundgebungen. Die Begeisterung kannte keine Grenzen.
    Wurde erneut von zwei Adjutanten Himmlers abgeholt. Es schien, als hätte ich keine Wahl, als mitzukommen. Wie soll ich mich auch gegen einen Mann wie Heinrich Himmler stellen? Also fügte ich mich und verhielt mich diplomatisch. Bei ihm angekommen, erwähnte er mit keiner Silbe, dass wir uns vier Monate nicht gesehen haben. Er verhielt sich, als habe mein Erlebnis in seinem kleinen, obskuren Museum nie stattgefunden. Und: Ich werde bestimmt auch in Zukunft nicht darauf zu sprechen kommen.
    Ich habe das Gefühl, dass er es sogar schaffen würde, alles so darzustellen, als sei es das Normalste von der Welt, Tische und Stühle aus Gebeinen von Juden herzustellen. Er legte dieselbe Freundlichkeit an den Tag wie immer und war überaus um gute Stimmung bemüht, um das Eis zwischen uns zum Schmelzen zu bringen. Er schwärmte von meinem Buch, erwähnte die eine oder andere Passage, nein, er zitierte sogar frei eine ganze Seite daraus, die Stelle, an der Siegmund aufgrund der Kraft des Speeres die ganze Streitmacht zum Sieg führt. Dann machte er eine bedeutungsvolle Pause und sagte mit eindringlicher Stimme: »Das Besondere an dieser sagenhaften Macht ist, dass es sie wirklich gibt.«
    Zunächst wusste ich nicht, was er meinte und entgegnete verwirrt.»Welche Macht?« Er kam ganz dicht an mich heran.»Die Macht eines solchen Speeres, einer Lanze. Einer ganz besonderen Lanze!« fügte er hastig hinzu. »Ich hatte sie doch schon einmal erwähnt, oder nicht?«
    Mein Blick verriet ihm, dass ich immer noch nicht begriffen hatte, und so fasste er mich wieder freundschaftlich am Arm und führte mich zu dem Tisch, an dem uns wir schon mehrere Male gegenübersaßen. Sein Atem ging schnell und ich bemerke einen fauligen Geruch in der Luft.
    Dann plötzlich duzte er mich wieder. »Ein solcher Speer, wie du ihn in deinem Roman beschreibst, ist nicht nur eine Erfindung deines fantasiebegabten Geistes, sondern eine historisch belegte Tatsache.«
    Ich zückte, meiner Gewohnheit folgend, meinen Block, um keines seiner Worte zu verlieren, und ich gestehe, dass sie mich tatsächlich gefangen nahmen. Es schmeichelte meiner Eitelkeit, dass er meinen Roman so sehr mochte. Als er mir seine Auffassung über die Mystik jener Lanze, von der er sprach, näher bringen wollte, wurde er plötzlich sehr lebendig. Ja, der sonst so phlegmatische Beamte wurde derart lebendig, als referiere er über die Erlösung der gesamten Menschheit und deren Schlüssel dazu. Er berichtete tatsächlich von einer Begebenheit aus der Bibel, ja, er zitierte sogar ganze Passagen daraus. Mit Leidenschaft beschrieb er, wie Jesus von Nazareth gegeißelt wurde, sein Kreuz zur Hinrichtungsstelle schleppen musste und anschließend daran genagelt wurde.
    Himmler erzählte immer aufgeregter und kam schließlich zu einer Stelle, die ihn mit wahrer Euphorie erfüllte: dem Zeitpunkt, als ein römischer Soldat mit einer Lanze in die Seite Jesu stach, um dessen Tod zu überprüfen. Dieser Hauptmann habe ehrfürchtig vor dem Kreuz gestanden und das Instrument fest umschlossen gehalten, mit dessen Hilfe er Blut und Wasser aus dem Leib Jesu auf seine Hände hatte fließen lassen. Dieser Mann, der nach den

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