Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
umfassten zitternd den Lanzengriff und er zog kräftig daran. Die gesamte Lanzenspitze war rot gefärbt, und von der goldenen Umfassung triefte das Blut des österreichischen Wachmanns zu Boden. Bukowski wurde es übel. Er war ein Dieb, ja, aber kein Mörder. Bis jetzt jedenfalls noch nicht. Langsam ließ er die Lanze zu Boden gleiten und legte sie neben die Leiche, als gehöre sie zu ihr. Wie eine Grabbeilage, die man einem Toten auf die letzte Reise mitgibt. Bukowski war ein großer, schwerer Mann, nun glich er einem verängstigten Jungen. Das Entsetzen stand ihm auf die Stirn geschrieben. Verstört, wie ein getretener Hund schlich er die Stufen zum Eingangsbereich hinunter und begegnete keiner Menschenseele. Zum Glück hat mich niemand gesehen. Bis jetzt bin ich glimpflich davon gekommen. Was hätte nicht alles passieren können? Noch gibt es keine Zeugen.
Schneider war in dem weißen Mercedes geblieben, obwohl er vor Geduld vibrierte und die Spannung fast nicht mehr aushalten konnte. Er rutschte auf seinem Sitz hin und her und spähte vorsichtig durch das Fenster der Beifahrerseite zum Museum hinüber. Er wollte auf keinen Fall gesehen werden; darum überließ er die Drecksarbeit gern den anderen. Er sah Bukowski aus der Schatzkammer kommen. Sein Schritt verriet Unsicherheit, und ein Schwanken war zu erkennen. Bukowski riss sich zusammen, nicht loszurennen, so war die Vereinbarung. Unter allen Umständen ein normales Benehmen, nur dass Schneider von den neuen Umständen noch nichts wusste.
Bukowski erreichte den Wagen. Sein Gesicht war aufgedunsener denn je, sein Hemd war klatschnass, und er stank fürchterlich nach ausgeschüttetem Adrenalin und Schweiß. Voller Entsetzen sah Schneider an ihm herab und hielt sich ein Seidentaschentuch vor sein, zu einer angewiderten Grimasse verzehrtes Gesicht.
Bukowski wimmerte, als er Schneider erreichte: »Ich konnte sie nicht mitnehmen. Sie liegt neben dem Wachmann.« Bukowski lehnte sich mit beiden Händen gegen das Dach des Wagens. Ihm wurde schwindelig vor Augen.
Schneider schien den letzten Satz Bukowskis nicht gehört zu haben. »Sind Sie wahnsinnig, Mann? Sie wagen es, ohne die Lanze zurückzukommen?« Seine Adern traten am Hals deutlich hervor. »Gehen Sie sofort wieder rein und holen die Lanze da raus.« Bukowski schüttelte den Kopf wie ein trotziges Kind und seine fettigen Haare flogen hin und her. Schneider presste die Lippen aufeinander und ballte die Fäuste. Mit Wucht stieß er die Wagentür hinter sich zu, sah sich nach allen Seiten hin um und rannte zum Museum. Er überquerte die Rasenfläche und erreichte den Eingang. Er kannte den Weg und spurtete die Treppen hinauf. Ihm kamen die Worte Sie liegt neben dem Wachmann in den Sinn.
In dem Moment erreichte er den toten Burgner. Er erschauderte kurz bei dem Anblick der riesigen Blutlache. Doch dann sah er die Lanze, seine Lanze. Friedlich und unschuldig darauf wartend, an ihren samtweichen Platz getragen und auf ein Kissen gebettet zu werden. Schneider ergriff die Lanze und betrachtete einen Augenblick das von ihr tropfende Blut. Es starrte ihn an, tropfte und rief ihm zu: du mieses Schwein.
Schneider drückte die Lanze auf Burgners weißes Hemd und wischte, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite, das Blut daran ab. Bei all dem hörte er nicht, dass jemand die Treppe heraufkam. Geräusche von Absätzen hochhackiger Schuhe hallten durch den Flur, doch Schneider hatte nur noch seine Lanze im Sinn.
Ein markerschütternder Schrei ließ ihn zusammenfahren. Die Frau hinter ihm riss die Hände vor den Mund und hörte nicht mehr auf zu schreien. Schneider drehte sich zu ihr um. Sie starrte auf den blutverschmierten Körper des Wachmanns.
»Ich war das nicht«, stammelte Schneider, doch sie hörte ihn nicht. Sie schrie weiter, aus Leibeskräften, im Schock, verzweifelt, ihrem Entsetzen Ausdruck verleihend, bis ein heftiger Schlag an die Schläfe sie verstummen ließ. Sie fiel mit einem dumpfen Poltern auf den blutgetränkten Teppichboden. Schneider hatte die hysterische Frau mit einem gezielten Hieb zum Schweigen gebracht. Die Lanze lag direkt vor ihm, und er hätte sie nur ergreifen brauchen – gereinigt von dem anklagenden Blut und doch, als wolle sie sich nicht aus freien Stücken aus dem Museum entfernen lassen, blieb sie für eine kleine Weile einfach so liegen. Schneiders Hand bewegte sich über ihr, und er fragte sich, warum er sie nicht greifen und mitnehmen könne. Sie war so nah und doch so
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