Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
Kräfte zu sein. Er macht schon einen ziemlich vertatterten Eindruck. Das ist ein Kinderspiel für einen kräftigen Mann wie Sie.«
»Schneider, Sie sind vollkommen verrückt. Ich habe überhaupt kein Werkzeug bei mir und bin absolut nicht vorbereitet. Ich weiß nicht, was in Ihnen vorgeht, aber normal ist das nicht. So ein Bruch muss sorgfältig geplant werden.«
Schneider steckte die Hände in die Hosentasche und ging auf einem Rasenstück auf und ab. »Was normal ist oder nicht, entscheiden nicht Sie, Bukowski. Was ist schon normal? Kein Mensch ist heutzutage mehr ›normal‹. Alle sind doch irgendwie auf der Suche nach irgendetwas, oder nicht?« Schneider wartete auf Bukowskis Reaktion. Der starrte ausdruckslos und wie ein verängstigtes Tier auf den Boden. Er suchte nach einer Möglichkeit, Schneider die Sache auszureden, doch seitdem dieser vor der Vitrine gestanden hatte, war aus dem Wunsch eine fixe Idee geworden, von der er nicht mehr abzubringen war.
Bukowski startete einen letzten, verzweifelten Versuch. »Was reizt Sie so an diesem alten Ding? Man kann sie auf dem Schwarzmarkt sowieso nicht verkaufen. Wenn es mir tatsächlich gelingen sollte, hier mit der Lanze unterm Arm heil wieder raus zu kommen, dann ist die so heiß, dass ganz Europa vorgewarnt ist. Abgesehen davon wird jeder fünf Minuten später am Flughafen gefilzt werden.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Harald. Es ist für alles gesorgt. Außerdem will ich sie gar nicht verkaufen.« Schneider lachte auf. »Geld? Was soll ich mit Geld? Ich brauche ganz andere Dinge als Geld. Geld habe ich gehabt. Das hier ist etwas anderes.« Schneider deutete mit einer Kopfbewegung auf das Museum. »Die Lanze wird mir mehr als nur Geld bringen.«
»Mir würde Geld schon reichen«, meinte Bukowski halblaut und dachte an das edelsteinbesetzte Reichskreuz. »Was kann es Besseres geben als ein Haus im Süden mit Pool und Blick aufs Meer?«
Schneider drehte sich zu Bukowski um und hauchte ihm die Worte ins Gesicht. »Unsterblichkeit, Bukowski. Macht und Unsterblichkeit.«
Bukowski trat einen Schritt zurück. Er war davon überzeugt, dass Schneider endgültig den Verstand verloren hatte. Doch Schneider meinte es ernst, todernst sogar.
Richard knöpfte seinen Zweireiher zu und sagte in ruhigem Ton. »Hören Sie zu! Wir fahren jetzt ins Hotel zurück, essen etwas, und heute Abend, kurz bevor das Museum geschlossen wird, gehen wir noch mal rein.«
»Ach ja. Und spazieren mit der Lanze einfach so ins Hotel und legen sie unters Kopfkissen.«
»Wir fahren nicht ins Hotel zurück. Wir nehmen den Wagen.«
»Welchen Wagen?«
»Ich habe von Deutschland aus einen Mietwagen gebucht. Und zwar unter einem falschen Namen.« Schneider musste unwillkürlich grinsen, der Name, den er für den Mietwagen benutzt hatte, wirkte auf den jungen Mann am Schalter mehr als kurios. Zweitausend Euro Trinkgeld hatten jegliche Bedenken vertrieben – inklusive Überführung zurück nach Österreich.
Gegen zwanzig nach fünf parkte Schneider den Wagen in der Nähe der Hofburg und wies Bukowski an, auszusteigen. »Los, hauen Sie ab und vermasseln Sie es nicht. Sie gehen da jetzt rein, holen sich die Lanze und sind ruck zuck wieder draußen.«
Bukowski schüttelte den Kopf und hielt Schneider für vollkommen unzurechnungsfähig. Er hatte schon viele Einbrüche durchgezogen, doch von so etwas Idiotischem hatte er noch nie gehört. Er hatte sich bemüht, doch Schneider war nicht umzustimmen gewesen. Doch was sollte Bukowski machen? Würde er geschnappt, käme er in den Knast. Und wenn er es nicht versuchte, würde Schneiderauch dafür sorgen, dass er dorthin käme. Sollte das Gaunerstück aber wider Erwarten gelingen, wäre er endlich frei. Er hatte keine Wahl und letztendlich nichts zu verlieren.
»Wenn Sie ohne die Lanze hier auftauchen, wissen Sie ja, was Sie erwartet«, rief Schneider ihm noch hinterher. Bukowski stand auf dem kleinen Weg in der Nähe des Lipizzaner Museums und wartete. Es war fünf Uhr dreißig, und sein Puls raste. Was hatte sich Schneider dabei gedacht, ihm einen derart verrückten Plan aufzutischen. Und überhaupt – ein Plan war das nun wirklich nicht. Ein Plan für Idioten oder für Glückspilze, dachte Bukowski. Er hatte überwiegend Einbrüche in Einfamilienhäuser hinter sich. In ein bewachtes Museum hineinzuspazieren und eine Lanze aus einer Vitrine zu stehlen, war etwas ganz anderes. Bukowski grübelte in seinem verschlagenen Gehirn und fand den
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