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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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setzte sich den Hut wieder auf und stopfte das Taschentuch in seine Brusttasche. »Als Jesus am Kreuz starb, wurden mit ihm zwei Verbrecher, Diebe oder Räuber hingerichtet. Ihr kennt die Erzählungen und Berichte. Die Bibel nennt die beiden einfach nur Schächer und berichtet nicht viel über sie. Später gingen sie als Dismas und Gestas in die Geschichte ein, wobei Dismas derjenige gewesen sein soll, der kurz vor seinem Tod unter Tränen und mit reuigem Herzen Buße für seine Sünden tat. Daraufhin hatte Jesus zu ihm gesagt, dass er, so wörtlich, noch heute mit ihm im Paradies sein werde.« Smith nahm einen weiteren Schluck Mineralwasser und fuhr fort. »Wir wissen aus den Evangelien, dass Jesus wegen des bevorstehenden großen Feiertags vom Kreuz genommen und in das Grab des Josef von Arimathäa gelegt wurde. Doch habt ihr euch mal gefragt, was mit den Leichen der beiden Schächer passiert ist? Wohin sie gebracht wurden? Okay, sie waren eigentlich nichts Besonderes. Sie waren Räuber, Diebe! Trotzdem bekamen sie für viele Menschen, die der Kreuzigung beiwohnten, eine besondere Bedeutung, weil sie mit ihm, dem Erlöser und an seiner Seite gekreuzigt wurden. Jesus hat in seinen letzten Minuten sogar mit ihnen gesprochen. Dem einen, der tiefe, echte Reue zeigte, hat er Vergebung zugesprochen, den anderen hat er beschimpft, weil dieser ihn trotz seiner misslichen Lage noch verspottete. Jahrhunderte lang stand die große Frage im Raum: Wohin hat man sie nach der Kreuzigung gebracht?«
    Mosche schaltete sich ein. »Warum soll das wichtig sein, wo genau die beiden begraben sind? Das verstehe ich nicht.«
    »Nun, wie die Menschen nun mal so sind. Was ist mit den Gebeinen des Johannes geschehen oder mit den Kleidungsstücken von Petrus oder von Paulus? Es wird sofort ein ungeheurer Reliquienkult veranstaltet. Tote Knochen werden verehrt, angebetet oder man schreibt ihnen wundersame Kräfte zu. Wie gern hätte man so einen Tanz auch um den reuigen Schächer Dismas gemacht? Dafür brauchte man aber irgendwelche Überreste von ihm, ein Stück Stoff, einen Splitter von seinem Kreuz oder den Nagel, mit dem er gekreuzigt wurde. Nichts von all dem hat man bisher gefunden, und die wenigen Funde, die im Zusammenhang mit seiner Person verehrt werden, sind nachweislich Fälschungen.«
    Lea und Mosche sahen sich fragend an. Smith lieferte die Erklärung. »Ihr ahnt nicht, wie viele angebliche Splitter vom Kreuz Jesu schon gefunden wurden. Daraus könnte man zehn Kreuze anfertigen lassen. Alte Holzsplitter gibt es zuhauf, und so hat man kurzerhand irgendwelche Reste eines Balkens zu einem verehrungswürdigen Kreuzessplitter des reuigen Sünders gemacht. Nun gut, so viel dazu.« Smith streckte seine Beine aus und nahm eine bequemere Sitzposition ein. Die Erlebnisse der letzten Tage zerrten an seinen Kräften. Und jetzt kamen noch diese neuen umwerfenden Funde dazu. Smith konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal solch großartigen Spuren nachgejagt war, und er fühlte sich um zwanzig Jahre jünger, selbst wenn sein Körper eine andere Meinung vertrat. Die Vermutung, die er bezüglich der gefundenen Toten hegte, verdichtete sich zu einer Gewissheit, und er fragte sich, ob es klug war, den anderen seine Überzeugung in diesen Minuten mitzuteilen. Mosche und Lea rückten noch dichter an den Professor heran und hielten die Spannung kaum aus.

XII
    Es war im Museum eigenartig still. Keine Menschenseele war zu sehen und zu hören. Niemand streifte durch die Räume, und es schien, als habe ein unsichtbarer Wächter den Besucherstrom umgelenkt. Schneiders Augen saugten sich an der Lanze fest, und der dringende Aufruf Bukowskis brachte ihn, wenn auch nur widerwillig, in die Wirklichkeit zurück. Sie verließen das Museum unbemerkt. Der Wachmann war damit beschäftigt, neue Kataloge zu sortieren und Besucherlisten abzuheften. Die Öffnungszeiten waren gewöhnlich von morgens acht bis abends achtzehn Uhr, doch an diesem Tag wunderte sich selbst der Wachmann über die geringe Besucherzahl im Museum. Tatsächlich konnte er sich an keinen Tag in seiner vierzigjährigen Dienstzeit erinnern, an dem so wenige Menschen gekommen waren.
    Schneider und Bukowski hatten das Museum verlassen und berieten sich im Schutz einiger Bäume. Schneider herrschte sein Gegenüber an. »Die Räume sind kaum bewacht. Kein Mensch geht davon aus, dass diese alten Reliquien gestohlen werden könnten, und der Wachmann scheint mir auch nicht mehr Herr seiner

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