Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
fern. Etwas oder jemand schien verhindern zu wollen, dass diese Lanze den Raum verließ. Er dachte an die Tagebücher seines Vaters, an Hitler und Himmler und wie sein Vater diese Reliquie in den Händen gehalten hatte. Er, Dr. Richard Schneider, würde seinem Vater beweisen, dass es möglich war, sie an sich zu bringen. Er rief sich ins Gedächtnis: Wer die Lanze besitzt, gilt als unbesiegbar. Das gab ihm neue Kraft und, als wäre ihr Widerstand gebrochen, ließ sie sich bereitwillig aufnehmen.
Er wickelte die Lanze in sein Sakko, eilte wie in Trance die Stufen hinunter und erreichte den Wagen, in dem Bukowski wie ein zusammengesunkenes Stück Fleisch kauerte.
Schneider nahm hinter dem Lenkrad Platz, kurbelte das Fenster herunter und startete den Wagen. Er fuhr, wie verabredet, nicht ins Hotel zurück, sondern folgte den Schildern aus Wien heraus.
Nach einer kurzen Weile der Fahrt fing Bukowski an zu zittern und begann haltlos zu heulen, bis Schneider ihn anbrüllte. »Hören Sie endlich auf zu flennen, Sie Memme. Lassen Sie uns erst mal aus Wien herausfahren und dann erzählen Sie mir alles. Ich habe die Lanze, das ist alles, was zählt.«
Bukowski riss sich für einen Augenblick zusammen. »Ich kann doch so nicht nach Hause fahren.«
Schneider hatte sich allmählich gefasst und sein Entsetzen hatte sich in Ärger und Wut verwandelt. »Sie sind ein absoluter Vollidiot. Sie sollten die Lanze stehlen und keinen Wachmann töten. Wie kann man nur so bescheuert sein?« Schneider schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Die Schlampe hat mich gesehen. Der Schwachkopf bringt ihn um, aber mich hat sie gesehen. Verdammt!
Für weitere fünfzig Kilometer schwiegen beide, nur das Wimmern Bukowskis war zu hören. Er war mit den Nerven am Ende. Von einem Dieb zu einem Mörder mutiert begriff er die Tragweite seiner Handlung und dies für eine Reliquie, die er weder verstand, noch die er von ganzen Herzen begehrte. Schneider hatte sich vollständig unter Kontrolle und dachte nach. Wenn Bukowski behauptet, ich sei es gewesen, würde man ihm möglicherweise glauben. Meine Fingerabdrücke sind wahrscheinlich überall, genauso wie seine. Aber ich wurde gesehen, als ich mich über den Typen beuge. Von Bukowski weiß niemand etwas. Und auf seine Loyalität ist kein Verlass! Bei diesem letzten Gedanken festigte sich sein Plan, ein Gedanke, der in seinem Kopf heranreifte und ihm sogar gefiel. Bukowski saß währenddessen zusammengesunken auf dem Beifahrersitz des eleganten Mietwagens und fand seinen Seelenfrieden nicht wieder. Unaufhörlich dachte er an das Bild der blutbeschmierten Lanze und an das erstaunte Gesicht des Wachmanns.
In einem Moment, der für Bukowski überraschend kam, trat Schneider auf die Bremse und brachte den Wagen auf dem Seitenstreifen zum Stehen. »Los steigen Sie aus. Ziehen Sie sich um. Ich kann Sie nicht mehr riechen.« Er deutete mit dem Daumen auf den Kofferraum. Bukowski fehlte die Kraft zum Widerspruch. Er war im Moment für jede Entscheidung dankbar, die er nicht selbst zu treffen hatte. Die Männer trafen sich am Kofferraum. Während Bukowski sich umzog, begnügte sich Schneider damit, Hemd und Sakko zu wechseln. Die Straße war wenig befahren, dass sie niemandes Argwohn erweckten. Das überriechende Kleiderbündel warfen sie in den nahegelegenen Wald und nahmen im Wagen Platz.
»Bleiben Sie ganz ruhig. Alles wird gut. Ich kümmere mich um Sie«, sagte Schneider betont beruhigend.
Bukowski versank in seinem Sitz und schwieg. Auf eine sonderbare Weise wurde ihm alles egal. Ruhe schlich in sein Gemüt, als gäbe es keine Aufgaben und Pflichten auf dieser Welt mehr zu erledigen. Er hatte seine Schulden beglichen. Aber wie hoch war der Preis dafür gewesen? Sicher, er war ein Raubein, doch er hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, jemals einen Menschen zu töten. Selbst wenn man die Tat nie aufklären könnte, würde sein Gewissen ihn ewig anklagen.
Bald waren sie zwei Stunden gefahren. Von Wien auf die Autobahn, vorbei an Sankt Pölten und Enns, Richtung Gmunden. Sie befanden sich in der Nähe der deutschen Grenze. Schneider kannte die Gegend von Urlauben mit seiner Frau und vom Skifahren. Es gab hier eine Menge Wälder und viele Feuchtgebiete, die nicht urbar gemacht werden konnten. Schneider war sich sicher, in der Nähe einer Region zu sein, die er von seinen Wanderungen her kannte. Die Grenze. Es ist unmöglich, sie mit diesem Schlappschwanz an meiner Seite zu
Weitere Kostenlose Bücher