Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
nachlässigen Ellbogen, der über eine Buchseite rieb, erkennen konnte. Sein zurechtweisendes Zischen hallte dreißig Schritte weit, und so mancher Bruder war schon vor Schreck von seinem Schemel gefallen, weil er glaubte, den Unwillen des Bibliothekars erregt zu haben.
    Nicht so Thomas.
    Er arbeitete in jeder Hinsicht allein. Er sprach nicht mit den Brüdern und schien die ständige, bedrohliche Gegenwart des Bibliothekars gar nicht wahrzunehmen.
    Andererseits hatte der Bibliothekar auch keinen Grund, Thomas zu rügen. Denn dieser war bei der Behandlung der Bücher und Aufzeichnungen, die er studierte, ebenso diszipliniert wie bei seinen Gebeten.
    Thomas ging gänzlich in seiner Frömmigkeit und Besessenheit auf, und nur wenige Menschen des Klosters, abgesehen von dem jungen Daniel, konnten zu ihm vordringen.
    Thomas gestattete nichts und niemandem, ihn von Gottes Weisung abzulenken. Nur so glaubte er, errettet werden zu können.
    Am Nachmittag des Sonnabends nach Mariä Verkündigung arbeitete Thomas zum ersten Mal allein in der Bibliothek. Die meisten Brüder hatten die Einladung eines benachbarten Klosters angenommen, ihre neue Statue der heiligen Kümmernis anzuschauen, eine Heilige, die weithin verehrt wurde, da sie Frauen von widerwärtigen Ehemännern befreien sollte. Thomas war nicht mitgegangen. Er hielt die Kümmernis für eine Heilige von sehr zweifelhaftem Verdienst, denn er glaubte, die Ehe sei ein heiliger Bund, den keine Frau lösen sollte… auch nicht durch himmlisches Eingreifen. Also war Thomas durchdrungen von seiner eigenen Rechtschaffenheit dageblieben und hatte sich wieder in seine Studien vertieft.
    Selbst der Bibliothekar war mitgegangen. Schließlich war Thomas vollkommen vertrauenswürdig, wenn es um die Sicherheit der Handschriften und Klosterchronik ging.
    In den letzten Wochen hatte Thomas sich eingehend mit den Aufzeichnungen des Konvents Sant’ Angelo beschäftigt. Er hatte an die Warnung des Erzengels gedacht, dass das Böse ungehindert unter den Menschen wandelte, und er fragte sich, ob es womöglich schon einige der Brüder des Konvents befallen hatte. Wenn das der Fall war, so hoffte Thomas, dass die Aufzeichnungen des Klosters Licht darauf werfen würden, wie und wann das Böse von seinen Brüdern Besitz ergriffen hatte. Er hatte bereits einige von ihnen in Verdacht: Mönche, die im Speisesaal manchmal etwas zu fröhlich waren, zu viele Gebete ausließen oder bei den allwöchentlichen Disputationen zu viel Mutwillen an den Tag legten.
    Thomas hatte gerade das Pergament mit den Aufzeichnungen des Jahres 1334 aufgerollt, als Daniel zur Tür hereingestürzt kam.
    Der Junge blickte sich um und entdeckte Thomas schließlich mit großer Erleichterung.
    »Daniel!«, sagte Thomas, verärgert über die Störung, obwohl er Daniel wirklich mochte. »Du musst dem Frieden und der Ruhe in dieser Bibliothek mehr Achtung entgegenbringen. Weswegen kommst du hier so wild hereingestürzt?«
    Er ging zu dem Jungen hinüber und legte ihm mahnend die Hand auf den Arm. »Daniel!«
    »Bruder Thomas… Bruder Thomas…«
    Thomas musste seine Verärgerung unterdrücken; er wünschte, der Junge würde einfach sein Anliegen vortragen.
    »Bruder Thomas. Der Heilige Vater… der Heilige Vater…«
    »Was ist mit ihm, Daniel?«
    »Der Heilige Vater ist tot!«
    Thomas erbleichte. »Tot?«, flüsterte er und blickte Daniel dann forschend an. »Woher weißt du das? Wie kannst du dir da sicher sein?«
    »Unser Prior hatte mich mit Botschaften zum Sekretär der Kurie in der Leostadt geschickt, Bruder. Während ich bei ihm war, kam ein Benediktiner in das Gemach gestürzt und hat die Nachricht verkündet. Danach sind der Sekretär und der Benediktiner hinausgelaufen und haben mich ganz vergessen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also bin ich wieder hierhergekommen. Sollen wir es Prior Bertrand erzählen, Bruder Thomas?«
    Thomas beachtete Daniels Frage gar nicht, seine Gedanken überschlugen sich. »Sie haben dich durch das Tor der Leostadt hinausgelassen?«
    »Ja, aber ein oder zwei Sekunden, nachdem ich hindurch gelaufen war, haben sie es zugeschlagen. Sollen wir es Prior Bertrand erzählen, Bruder Thomas?«
    »Nein«, murmelte Thomas, immer noch in Gedanken versunken. Was hatten die Kardinäle vor? Ob der Papst eines natürlichen Todes gestorben war oder nicht, war jetzt unwesentlich. Doch was immer die Kardinäle nun tun würden, entschied über das Schicksal der Christenheit.
    Gingen sie in diesem Moment

Weitere Kostenlose Bücher