Hueter Der Macht
handfest und gut erzogen, was er offensichtlich seinem ernsten und rechtschaffenen Vater verdankte. Außerdem musste sich Thomas eingestehen, dass ihn Johanns Aufmerksamkeit schmeichelte. Der junge Mann bewunderte Thomas’ Lebenserfahrung ebenso wie seine tiefe Verbundenheit mit der Kirche und verspürte eine gewisse Ehrfurcht vor seiner Abstammung. Obwohl Johann Thomas an sein weltliches Leben erinnerte, beunruhigte ihn das nicht weiter – der Junge war nicht wie Wat Tyler, dessen Auftauchen lebhafte und schmerzliche Gedanken und Gefühle in Thomas wachgerufen hatte. Wat Tyler hatte seine Entscheidung in Frage gestellt, Johann bewunderte ihn blind dafür. So wie Daniel in Sant’ Angelo, war Johann für Thomas ein einfacher und angenehmer Gefährte.
Johann und die anderen Mitglieder der Reisegesellschaft befragten Thomas häufig über die Ereignisse in Rom und darüber, was er über das Vorhaben der Engländer wusste, in Frankreich einzumarschieren.
Thomas war erleichtert zu hören, dass die Franzosen in der Gruppe, Marcel und Karle, sich ebenso wie die anderen dafür aussprachen, dass der Papst weiterhin in Rom residieren sollte. Alle waren empört darüber, dass die abtrünnigen Kardinäle nach Avignon zurückgekehrt waren und womöglich schon einen neuen Papst gewählt hatten.
Es gab jedoch unterschiedliche Meinungen darüber, dass Frankreich und England erneut Krieg führen würden. Die Ursache des Krieges lag vor allem darin, dass Eduard sich für den rechtmäßigen Erben des französischen Throns hielt, und die Auseinandersetzungen schwelten seit Eduards achtzehnten oder neunzehnten Lebensjahr. Nun war er ein alter Mann. Beide Länder hatten unter den Feindseligkeiten gelitten, doch Frankreich am meisten. Der Krieg wurde ausschließlich auf französischem Boden geführt – obwohl französische Piraten den Dorfbewohnern an der Südostküste Englands auch das Leben schwer machten –, und die Verluste unter der französischen Landbevölkerung waren verheerend. Zehntausende waren getötet worden, und viele weitere konnten nicht mehr auf ihre Höfe zurückkehren, da sie von den umherziehenden englischen Armeen niedergebrannt und geplündert worden waren.
In den letzten Jahren war es nicht mehr zu Kämpfen gekommen, zum Teil, weil beide Seiten körperlich und seelisch erschöpft waren, aber auch, weil Eduard und der französische König einen Waffenstillstand miteinander vereinbart hatten.
Nun hatte Eduard offensichtlich die Geduld verloren, und anscheinend war es ihm wohl auch gelungen, für einen neuerlichen Feldzug ausreichende Mittel aufzutreiben.
»Hoffentlich nicht von einem meiner Bankfreunde«, hatte Marcoaldi eines Abends düster gesagt, als sie beim Essen über den Krieg sprachen. Als junger Mann hatte Eduard sich die finanziellen Mittel für seinen ersten Frankreichfeldzug mithilfe eines umfangreichen Darlehens bei den florentinischen Bankiers Bardi und Peruzzi beschafft. Als es Zeit wurde, seine Schulden zurückzuzahlen, hatte Eduard verkündet, dass er dies nicht zu tun gedenke. Nicht nur die Familien der Bardi und Peruzzi waren dadurch ruiniert worden, sondern auch viele andere Familien in Florenz, die von ihnen abhängig waren.
Diese Tat hatte Eduard unter den Bankiers Italiens keine Freunde eingebracht.
Während Marcoaldi sich zu den finanziellen Aspekten eines neuen Feldzuges der Engländer äußerte, fragten sich Marcel und Karle, welche Entbehrungen das französische Volk dieses Mal erwarteten.
»Und Paris… Paris!«, hatte Marcel eingeworfen. »Zweifellos werden die Engländer die Stadt wieder belagern! Thomas, habt Ihr eine Vorstellung, was…«
Thomas hatte ihn unterbrochen und erneut zu erklären versucht, dass er nur Gott und nicht mehr dem englischen König oder seiner Familie verbunden sei. »Ich beteilige mich nicht an dem Krieg«, sagte er.
Und dennoch… dennoch… Hatte er nicht einst zu einer der plündernden englischen Armeen gehört? Hatte er nicht selbst oft genug die Strohdächer von Bauernhäusern mit Fackeln in Brand gesetzt?
Hatte er nicht Ehemänner mit dem Schwert durchbohrt… nachdem er sich an ihren Ehefrauen vergangen hatte? Der Herr Jesus mochte ihm die Gräuel verzeihen, die er über andere gebracht hatte.
Thomas starrte die Berge an und fragte sich, ob er jemals für all seine Sünden büßen könnte. Der letzte Feldzug, an dem er teilgenommen hatte, war der schlimmste gewesen, und das Blutvergießen, der Schmerz und das Elend, die er verursacht hatte,
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