Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
hatten ihn endlich zum Nachdenken gebracht.
    Doch wie sehr sehnte er sich immer noch nach diesen Tagen: nach den Kampfgefährten, der herzlichen Freundschaft seiner Waffenbrüder.
    »Thomas? Thomas? Was habt Ihr?«
    »Ach, ich war in Erinnerungen versunken. Verzeih mir. Johann… sag, bist du schon einmal über den Brenner gereist?«
    »Ja. Dreimal – und einmal während des Frühlings! Ich schwöre bei Gott…«
    »Johann!«
    »Vergebt mir. Ich meine, nun, es war gefährlicher, als Ihr es Euch vorstellen könnt! Am letzten Tag drohte eine solche Schneelawine auf uns herabzustürzen, dass ich schwöre – entschuldigt –, dass mein Vater um sein Leben fürchtete. Ihr hättet damals bei uns sein sollen, Thomas, denn mein Vater rief verzweifelt nach einem Priester für die letzte Beichte.«
    »Nun«, sagte Thomas sanft, »diesmal werde ich bei euch sein, sollte sich die Notwendigkeit ergeben.«
    Einen Moment lang schwiegen sie und sahen zu, wie die Sonne hinter dem höchsten Gipfel versank.
    »Sie sind so wunderbar«, sagte Johann schließlich.
    Thomas blickte ihn verwirrt an. »Wunderbar? Was?«
    »Die Berge… ihre Schönheit… ihre Gefahren…«
    Thomas blickte die Berge an und wandte sich dann wieder Johann zu.
    »Das ist keine ›Schönheit‹, Johann. Die Alpen sind etwas Scheußliches, sinnlose Ansammlungen von Felsgestein, die der Menschheit zu nichts nütze sind. Sie hindern die Menschen sogar daran, diese Welt zu zähmen und sie sich untertan zu machen, wie Gott es Adam befohlen hat.«
    Johann blickte Thomas ernst an. »Aber berühren sie Euch denn gar nicht, Thomas? Spürt Ihr nicht ihren Ruf in Euch?«
    »Ruf?«
    »Manchmal«, sagte Johann mit leiser Stimme, »wenn ich sie betrachte oder über ihre Pässe reise, überkommt mich eine unbestimmte Sehnsucht.«
    »Eine Sehnsucht wonach, Johann?« Thomas musterte aufmerksam das Gesicht des jungen Mannes. Hörte er den Ruf von Dämonen? Stand er im Bann des Bösen, vor dem der heilige Michael ihn gewarnt hatte?
    Johann seufzte. »Es ist so schwierig, in Worte zu fassen, was ich empfinde. Der Anblick dieser majestätischen Gipfel…«
    Majestätisch?
    »… weckt in mir die Sehnsucht, mein Leben als Kaufmann hinter mir zu lassen und als Kapitän zur See zu fahren, um die Welt zu erforschen und zu entdecken, die dort draußen auf mich wartet«, er breitete die Arme aus, »jenseits der bekannten Gewässer und Kontinente…«
    »Johann, warum denkst du so? Alles, was wir brauchen, finden wir in christlichen Ländern, es gibt keinen Grund, die Länder der Ungläubigen zu erforschen.« Thomas legte Johann bezwingend die Hand auf die Brust und suchte seinen Blick. »Johann, du solltest lieber deine eigene Seele erforschen, um irgendwann zur Erlösung zu gelangen. Nur das Jenseits zählt, nicht das Diesseits. Hier erwartet uns nur eine Einöde voll des Bösen, das uns von unserem wahren Ziel ablenken will, der Erlösung nach dem Tod.«
    Johann wurde rot angesichts der Zurechtweisung. »Ich weiß, Bruder Thomas. Vergebt mir. Es ist nur… es ist nur so…« Er wandte sich wieder den Bergen zu und Thomas sah, wie sich ihre Gipfel in seinen Augen widerspiegelten. »Ich… ich wünschte mir, dass ich eines Tages den Mut aufbringen könnte, bis hinauf zu ihrer Spitze zu steigen und auf die ganze Welt hinabzublicken.«
    Thomas sah Johann an und diesmal verriet dessen Gesicht keine Reue. »Stellt Euch nur vor, Thomas, Ihr könntet den Mut finden, die höchsten Gipfel der Welt zu erklimmen.«
    Und damit drehte er sich um und ging zum Kloster zurück, während ihm Thomas besorgt hinterhersah.
     
     
    Bei seiner Rückkehr ins Kloster war Thomas’ Besorgtheit noch gewachsen, als sich herausstellte, dass die deutschen Söldner verschwunden waren. Als er Marcel fragte, wo sie hingegangen seien, hatte dieser nur ein wenig ratlos mit den Achseln gezuckt.
    »Es ist Johannisnacht, Bruder. Die Deutschen sind in das kleine Dorf gegangen, das wir etwa eine Meile vor dem Kloster durchquert haben, um an der Feier der Dorfbewohner teilzunehmen.«
    Thomas presste die Lippen zusammen. Die Bauern maßen der Sommersonnenwende viel zu viel Bedeutung bei, denn sie glaubten, die Sonne würde von ihrem langen Abstieg bis zum tiefsten Stand im Winter nicht mehr zurückkehren, wenn sie diesen Tag nicht mit Feuern und Tänzen begingen. Die Kirche versuchte seit langem, diese Feste abzuschaffen, doch mit wenig Erfolg. In allen christlichen Ländern stiegen die Menschen an diesem Tag auf Hügel und

Weitere Kostenlose Bücher