Hueter Der Macht
Der Drang zu fliehen war einfach zu groß… sie würden sicherlich auch ohne sie auskommen… gewiss musste sie das nicht tun…
»Seid Ihr Lady Rivers?«, fragte die Stimme eines Mannes.
»Ja«, sagte Margaret und schluckte. »Ja, Herr.«
Er trat aus den dunklen Winkeln des Zeltes, und als sich Margarets Augen etwas an das Zwielicht gewöhnt hatten, sah sie, dass er neben einem großen Bett gestanden hatte, das mit Wandteppichen und Vorhängen geschmückt war.
Wieder fing ihr Herz an zu flattern.
»Ich bin Ralph Neville«, sagte er und seine Stimme klang nicht unfreundlich. »Lord Bolingbroke hat mir von Eurer misslichen Lage erzählt.« Jetzt nahm seine Stimme einen fröhlichen Unterton an. »Was er mir nicht gesagt hat, ist, wie schön Ihr seid. Euer Haar, mein Gott… Nun, ich werde Bolingbroke dafür zur Rechenschaft ziehen müssen, dass er mir das verschwiegen hat.«
Sie blickte ihn an und suchte verzweifelt nach einem Grund dafür, ihr Vorhaben durchzuführen. Ralph Neville, Baron Raby, war ein großer, sehniger Mann von etwa fünfzig oder fünfundfünfzig Jahren, mit dunklen Haaren und strengem Gesicht, doch mit warmen braunen Augen, die sie nun wohlwollend musterten.
Zusammen mit der Fröhlichkeit in seiner Stimme reichte es aus, ihr neuen Mut zu geben.
»Ich habe niemanden auf der Welt, Herr«, sagte sie. »Und kann nirgendwohin gehen. Mein Gemahl ist tot, und ich bin völlig mittellos.«
»Und Ihr wollt nach England zurückkehren.«
»Ja, Herr.«
Er war ihr jetzt sehr nahe und streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus, umfasste ihr Kinn und streichelte es sanft mit den Fingern. »Hat Bolingbroke Euch den Preis dafür genannt?«
Sie war von seinen Augen ebenso gefangen wie von der Berührung seiner Hand.
»Ja, Herr«, flüsterte sie schließlich.
Sein Blick wurde sanfter, und Margaret fragte sich, ob er ihr Zittern spürte.
»Sagt es mir«, sagte er ebenso leise wie sie.
»Für meine sichere Rückreise nach England werde ich… werde ich Euch des Nachts in Eurem Bett Gesellschaft leisten.«
»Es fällt Euch schwer, das auszusprechen«, sagte er, nachdem er sie einen Augenblick gemustert hatte. »Das zeigt mir, dass Ihr eine tugendhafte Frau und keine Lagerhure seid. Nun, Margaret, Ihr werdet feststellen, dass ich Euch für einen alten, grauhaarigen Krieger, wie ich einer bin, gut behandeln werde.«
Margaret glaubte, seine Finger würden sich durch die Haut ihres Kinns brennen. Gütiger Himmel, wenn allein die Berührung seiner Finger solche Empfindungen in mir wachruft, was werde ich erst verspüren, wenn ich mit ihm das Lager teile?
»Ich zweifle nicht daran, Herr.«
Er sagte nichts, sondern neigte nur den Kopf und küsste sie inbrünstig.
Oh, lieber Herr im Himmel! Margaret war noch nie so leidenschaftlich geküsst worden. Ihr Gemahl Roger hatte ihr höchstens hin und wieder einen schnellen, verlegenen Kuss auf die Wange gedrückt. Doch Rabys Mund ruhte fest und fordernd auf ihrem und unter seinem Drängen öffnete sie den Mund und spürte, wie seine Zunge zwischen ihre Lippen glitt, sich ebenso warm und sanft anfühlte wie seine Augen.
Als sich seine Lippen schließlich wieder von den ihren lösten, sah sie, dass Rabys Augen nun viel dunkler waren als zuvor.
»Liebste Meg«, flüsterte er heiser, »ich kann nicht mehr auf die Nacht warten, um die wunderbaren Geheimnisse Eures Körpers zu erforschen. Bitte kommt mit mir und verdient Euch Eure Heimreise nach England.«
Margaret spürte Panik in sich aufsteigen – was wird er sagen, wenn er feststellt, dass ich nicht ganz so erfahren bin, wie er glaubt? –, dann nickte sie leicht und ließ sich von Raby zu dem großen Bett in der Mitte des Zeltes führen.
Bei allen Heiligen, Hal, dachte sie, ich hoffe, es wird tatsächlich alles gut, wie du es mir versprochen hast.
»Meine Mutter und mein Vater haben mir viel über diese Nacht vor Weihnachten erzählt«, sagte Odile, während sie Thomas über die Dorfwiese zu einem kleinen Trampelpfad führte, der im Wald verschwand. Weder ihr Mann noch die Kinder begleiteten sie.
»Woher kennt Euer Dorf Bruder Wynkyn?«
»Er ist auf seiner Durchreise stets in Asterladen eingekehrt«, sagte Odile, verließ den Pfad und folgte einer Abzweigung, die mit Büschen und wilden Gräsern überwuchert war. »Er hat uns gut entlohnt.«
»Und Ihr kennt den Ort, an dem er… seinen Dienst versehen hat?«
»Ich kenne ihn, ebenso wie mein Bruder und meine Schwester. Sonst niemand. Wir haben ihn als
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