Hueter Der Macht
Das ist der Lauf der Dinge.«
»Das leibhaftige Böse geht unter den Menschen um… hat das nicht der heilige Michael gesagt? Nun«, Gesicht und Stimme des Dämons nahmen einen gehässigen Ausdruck an, »du kennst das Wesen des Bösen nicht, Tom. Du hast noch nicht einmal angefangen, es zu verstehen.«
»Ich werde dich und die deinen vernichten!«
»Womit, Tom? Ach ja, richtig, wie dumm von mir! Mit Wynkyns Buch natürlich!«
Der Dämon hielt inne und grinste. »Ja, wir wissen von dem Buch, aber sei guten Mutes, denn wir können ihm nichts anhaben, es nicht einmal öffnen.«
»Warum erzählst du mir das?«
Der Dämon zögerte und dachte nach. Schließlich hob er den Blick und sah Thomas an. »Ob du’s glaubst oder nicht, Thomas, wir wollen dir wirklich nichts Böses. Wir wünschen dir sogar Glück, denn du kannst uns eines Tages von großem Nutzen sein.«
»Wie? Was meinst du damit?«
Der Dämon schüttelte den Kopf. »Ein langer Weg liegt vor dir, Tom, und niemand, nicht einmal der heilige Michael, kennt all seine Biegungen und Wendungen. Der Erzengel hat dir gesagt, du sollst deine Erfahrungen selbst machen, und da muss ich dem verfluchten Engel einmal recht geben. Er kann dich nichts lehren und ich ebenso wenig. Aber denkt daran, Tom, wir beobachten dich alle.«
Der Dämon drehte sich um, als wolle er davongehen.
»Warte!«, sagte Thomas. »Warum habt ihr mich heute hierher gebracht? Warum habt ihr mir mit Odiles Hilfe eine Falle gestellt?«
Der Dämon hielt inne und wandte das Gesicht leicht Thomas zu.
»Um dich mit deiner Prüfung vertraut zu machen. Jetzt trägt eine weitere Frau dein Kind in sich. Verstehst du denn nicht, Tom? Wirklich nicht? Das Schicksal der Welt hängt vom Ergebnis der Probe ab, der du unterworfen wirst. Entscheide dich für einen Weg, und Gott wird siegen, entscheide dich für einen anderen, und wir werden die Erde überfluten und sie uns Untertan machen.«
Und damit wandte sich der Dämon endgültig um.
Thomas blinzelte und sah den Dämon mit anmutig federnden Schritten davongehen, und als er das nächste Mal blinzelte, war der Dämon verschwunden und er war allein in der Schlucht.
Allein, bis auf die Erinnerung an die Erscheinung, die über ihn gekommen war, als er an Odile seine Lust gestillt hatte. Die Erscheinung der schönen, traurigen Frau, in die er irgendwie – durch irgendeine dämonische Hexerei – seinen Samen ergossen hatte.
Eine Prüfung? Eine Frau? Wie konnte das sein? Die Dämonen würden ihn doch sicher eher mit Reichtum oder unvorstellbarer Macht in Versuchung führen. Oder vielleicht versuchen, ihm Angst einzujagen, damit er die Aufgabe, mit welcher der heilige Michael ihn betraut hatte, aufgab. Aber eine Frau? Thomas’ Gedanken gerieten ins Stocken. Eine Frau. Er erinnerte sich, wie Odile die Erinnerung an Alice heraufbeschworen hatte.
Das Schicksal der Welt hing von dem Ergebnis der Prüfung ab, der sich Thomas unterziehen musste.
Auch Alice’ Schicksal hatte von seiner Entscheidung abgehangen.
Wie konnte man ihn eher in Verzweiflung stürzen als mithilfe einer weiteren schönen Frau, die mit einem Kind von ihm schwanger war?
Thomas zwang sich, nicht mehr an Alice und das, was sie in ihrer Hoffnungslosigkeit getan hatte, zu denken. Er hatte Alice in Liebe beigewohnt. Was gerade geschehen war, dieses animalische Stillen seiner Lust, war nicht durch Liebe herbeigeführt worden, sondern durch dunkle Hexerei. Wenn durch diese Täuschung ein Kind empfangen wurde, dann war er sicher nicht dafür verantwortlich.
Sicher nicht.
Ich werde stark sein, schwor er im Geiste. Ich werde stark sein.
Schließlich gelang es ihm, alle Gedanken an Alice und jene andere schöne Frau aus seinem Geist zu verbannen; er klopfte sich den Schmutz vom Gewand und ging auf den Ausgang der Schlucht zu.
Von Odile oder dem Dämon war nichts zu sehen, doch sein brauner Wallach stand an eine junge Esche gebunden da, fertig gesattelt, und wartete auf ihn.
Ein Beutel voll Essen war an den Sattelknauf gebunden.
Thomas ging langsam auf das Pferd zu, nicht sicher, ob es eine Erscheinung oder Wirklichkeit war, doch das Tier wieherte leise, als Thomas näher kam, und schüttelte Kopf und Mähne, als wollte es ihn zur Eile auffordern.
Thomas klopfte ihm auf den Hals und betrachtete den Beutel mit dem Essen. Er legte die Hand darauf, zögerte, riss ihn dann vom Sattel und warf ihn fort.
Die Hilfe von Dämonen oder Hexenhuren brauchte er nicht.
Er blickte sich um, seufzte, ergriff
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