Hueter Der Macht
Fortgehen kaum wahr.
Stattdessen war sein Blick wie gebannt auf den Dämon gerichtet, der zwischen ihm und dem Eingang der Schlucht stand.
Kapitel Acht
Der Freitag vor dem fünften Sonntag nach dem Fest
der Dreifaltigkeit
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
(16. Juli 1378)
– III –
Wie das Wesen, das ihn auf dem Brennerpass heimgesucht hatte, war auch dieses wunderschön und abscheulich zugleich.
»Du versuchst die Schönheit derer nachzuahmen, die du verabscheust«, sagte Thomas und versuchte, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen. Gütiger Herr im Himmel wie hatte er sich nur so übertölpeln lassen können?
»Du meinst die Engel?«, fragte der Dämon und machte ein paar Schritte auf ihn zu. Von seiner elfenbeinfarbenen Haut ging ein unirdisches Leuchten aus und seine Augen strahlten in einem unnatürlichen Blau.
Nun, als er einem Dämon direkt gegenüberstand, bemerkte Thomas, dass dieser etwas größer und muskulöser war als ein Mensch, obwohl seine Haltung eher elegant als unbeholfen wirkte. Seine Hüften waren schmal, seine Beine wohlgeformt, und dichtes silbriges Haar, ähnlich dem auf seinem Kopf, wuchs auch über seinem Geschlecht.
Der Dämon lächelte und entblößte zwei Reihen winziger, spitzer, jedoch makelloser Zähne. »Ich kann nicht anders, als die Gestalt der Engel nachzuahmen, Tom.«
»Jeder von uns kann frei entscheiden«, sagte Thomas. »Gott lässt uns die Wahl. Wir können entweder den Weg der Erlösung wählen oder den Weg…«
»Du langweilst mich«, sagte der Dämon. »Natürlich hat jeder von uns eine Wahl, und ich und die meinen, wir haben uns nach bestem Wissen entschieden.«
Das Geschöpf näherte sich Thomas noch mehr – es war nun nur noch drei oder vier Schritte von ihm entfernt –, mit herrlich anmutigen Bewegungen.
Der Dämon lachte leise über Thomas’ Reaktion. »Müssen wir humpeln und stolpern, um deinen Erwartungen zu entsprechen, Priester? Warum können nicht auch unser Wesen und unsere Körper ihr Gutes haben?«
Thomas wollte zurückweichen, doch dann wurde ihm bewusst, dass die Schlucht eine Sackgasse war.
Er war gefangen.
»Ihr seid böse!«, sagte er.
»Ach, hat der hübsche Engel dir das gesagt?«, fragte das Wesen.
Thomas schwieg. Seine Furcht hatte sich verflüchtigt, und er spürte nur noch Wut und ein brennendes Gefühl der Erniedrigung, weil es Odile gelungen war, ihn zu verführen.
Wie hatte sie von Alice erfahren?
»Wir wissen alles über dich«, sagte der Dämon und lächelte über Thomas’ Gesichtsausdruck. »Nein, Odile ist keine Dämonin – du darfst nicht glauben, dass du dich in eine der unseren ergossen hast! –, sondern nur eine Frau, die uns treu ergeben ist.«
»Sie ist eine Hure und Hexe.«
Der Dämon zuckte mit den Achseln, hob dann die Hand – seine langen Finger liefen in scharfe Krallen aus – und musterte sie sorgfältig. »Du scheinst sie magisch anzuziehen, was, Tom?«
Plötzlich blickte er Thomas wieder in die Augen. »Nein. Glaub nicht, du könntest mich überwältigen. Das wird dir nicht gelingen. Bleib, wo du bist und hör mir zu.«
Der Dämon wies mit einer Handbewegung auf die Schlucht. »Wie viele meiner Art komme ich gelegentlich an diesen Ort. Zur Erinnerung und um den Schwur zu erneuern, dass mein Volk und ich uns nie wieder einsperren lassen werden.«
»Was ist das für ein Ort?«
Der Dämon lachte, aufs Äußerste belustigt. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir das sage, nicht wahr? Nun, ich werde es trotzdem tun! Der Schlund ist das Tor zur Hölle, Thomas, das einzige, das es auf dieser hübschen Erde gibt… und Wynkyn de Worde war der einzige, der es nach Belieben öffnen und schließen konnte.«
»Das Buch…«
»Ja. Sein gemeines, kleines Buch voller Beschwörungsformeln. Und du nennst uns Hexen und Zauberer! Wynkyn de Worde war der letzte einer langen Reihe menschlicher Hexenmeister, die Gottes Willen auf Erden erfüllt haben, Tom.«
Der Dämon runzelte die Stirn, als müsse er nachdenken. »Hexenmeister… nein, das ist noch ein zu nettes Wort für ihn! Wynkyn hat Abfall beseitigt, Tom. Er hat hinter den Engeln aufgeräumt. Und jetzt haben Gott und der heilige Michael dich zu seinem Nachfolger bestimmt. Du brauchst kein so ängstliches Gesicht zu machen, Tom. Wir werden dir nichts tun. Schließlich«, der Dämon lachte, »ist ein Teufel, den man kennt, besser als einer, den man nicht kennt!«
»Das Böse wird stets unterliegen.
Weitere Kostenlose Bücher