Hueter Der Macht
Gläubigen unterscheiden?
Wem konnte er überhaupt noch vertrauen?
Thomas dachte an die letzten Monate seiner Reise zurück. Wer mochte ein Dämon gewesen sein? Marcoaldi sicherlich. Thomas erinnerte sich an die Verbitterung des Mannes und den offensichtlichen Hass, den er nicht nur den Geistlichen, sondern sogar Gott selbst entgegenbrachte. Ja, es musste Marcoaldi gewesen sein, der sich verwandelt hatte, um ihn auf dem Brennerpass heimzusuchen.
Wer sonst noch in der Reisegesellschaft? Gütiger Herr im Himmel es hätte jeder sein können!
Marcel? Thomas hatte gesehen, wie er an dem Morgen, nachdem Thomas von dem Dämon verletzt worden war, heftig mit Marcoaldi gestritten hatte. Er schien so fromm…
»Ich muss vorsichtig sein«, murmelte Thomas immer wieder, »und darf niemandem trauen.«
Und sicherlich nicht dieser Frau – dieser »Meg« –, die er in der Erscheinung gesehen hatte, als er Odile beigelegen hatte. Ha! Sie war diejenige, mit der die Dämonen ihn in Versuchung führen wollten.
Nun, sie war schön, aber sie war eine Frau, die ihrer Schwäche nachgegeben hatte. Lag sie nicht zur selben Zeit einem Mann bei, als er Odile beigewohnt hatte? Und sie war deshalb weder keusch noch edel. Thomas verdrängte den Gedanken, dass auch er derselben Schwäche erlegen war – schließlich war er mit einem Bann belegt worden und nicht Herr seiner selbst gewesen. Nein, diese Frau, Meg, war wahrscheinlich ebenso eine Hexe wie Odile. Sie würde ihn nicht in Versuchung führen können. Er würde sein Herz nicht an eine wie sie verlieren.
Die Dämonen hatten einen großen Fehler begangen, als sie Thomas gesagt hatten, was für eine Falle es war, die sie für ihn aufgestellt hatten. Er wusste, dass er sie vermeiden konnte, ihr widerstehen konnte. Seine Liebe und Treue zu Gott kam vor allem anderen.
Thomas betete ununterbrochen zum heiligen Michael um Rat, doch der Erzengel erschien ihm nicht und sprach auch nicht zu ihm. Das beunruhigte Thomas nicht weiter, denn der Erzengel hatte gesagt, dass Thomas seinen Weg selbst finden müsse.
Thomas war recht zuversichtlich, auch wenn er noch einen weiten Weg vor sich hatte. Er nahm die Tage, wie sie kamen, beobachtete die Menschen um ihn herum und lauschte ihren Worten mit größerer Aufmerksamkeit als sonst. Er durfte niemandem trauen.
Als er Frankfurt schließlich verließ, mietete er ein kleines Boot, das ihn rheinaufwärts in den Südwesten nach Strasbourg bringen sollte, von wo aus er direkt in westliche Richtung nach Paris reiten konnte.
So zurückhaltend Thomas in dem Kloster in Frankfurt gewesen war, so wenig sprach er auch mit dem Bootsführer, während sie den Fluss hinunterfuhren. Er saß im Bug des Bootes, hielt die Zügel seines geduldigen Pferdes, seine Augen glitten über die vielen Burgen, die düster und bedrohlich auf den Steilklippen nach jeder Flussbiegung auftauchten.
Der Rhein war der wichtigste Transportweg Europas, und Hunderte von Frachtkähnen und Schiffen, kleine wie große, befuhren ihn in beide Richtungen. Ihre Kapitäne und Passagiere riefen Thomas Grüße zu, doch der Mönch beachtete sie nicht und überließ es dem Bootsführer, die Grüße der vorbeifahrenden Lastkähne und Schiffe zu erwidern.
Der Bootsführer war froh, ihn wieder los zu sein und hätte sich nicht einmal beschwert, wenn Thomas ihn nicht bezahlt hätte.
Doch Thomas achtete darauf, niemandem etwas schuldig zu bleiben, und bevor er auf sein Pferd stieg, gab er dem Bootsführer eine Münze aus seinem Geldbeutel.
Er ließ Strasbourg ohne Aufenthalt hinter sich. Die Städte, durch die er kam, gingen alle ineinander über, und die Stadtmauern und überfüllten Straßen der einen konnten auch noch die der vorherigen sein.
Thomas hielt inmitten der geschäftig umhereilenden Stadtbevölkerung nach Dämonen Ausschau, doch er sah keine. Sie wussten, dass er von jetzt an die Augen offen hielt, und waren auf der Hut.
Von Strasbourg aus ging es nach Westen durch die Randgebiete Frankreichs nach Paris. Dort hoffte Thomas, sich einige Zeit niederlassen und ein wenig ausruhen zu können. Er wollte sich mit Etienne Marcel unterhalten, dem er sich möglicherweise anvertrauen konnte, bevor er seine Reise unermüdlich weiter nach Westen fortsetzte.
Am Ende der ersten Septemberwoche, zum Geburtstag der Heiligen Jungfrau, erreichte Thomas die Provinz Lorraine. Es war spät am Nachmittag und Zeit, sich ein Lager für die Nacht zu suchen. Gewitterwolken zogen im Nordwesten herauf,
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