Hueter Der Macht
deinen Stegereifen,
Deins Rosses Fell mit Bürsten streichen,
Und trag ich deine Lanzen schwer,
Das tu ich alles, und noch mehr.«
Ein Lied (für Margarethe)
Mittelalterliche englische Ballade
Kapitel Eins
Das Fest der Geburt der Heiligen Jungfrau Maria
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
(Mittwoch, 8. September 1378)
Von der Schlucht aus ritt Thomas nach Nordwesten durch goldene Felder, auf denen rot und grün gekleidete Bauern Sensen schwangen, und durch kleine Dörfer, wo Jungen Gänse hüteten und alte Frauen in Brunnen spuckten. Nach mehreren Tagereisen erreichte er die Stadt Bamberg. Von dort folgte Thomas einem kleinen Fluss nach Westen und erreichte in der letzten Juliwoche Frankfurt. Dort blieb er fünf Tage lang in einem kleinen Dominikanerkloster, denn er wusste, dass sein Pferd und er sich erholen mussten. Er sprach nur wenig mit den Brüdern des Klosters, und sie ließen ihn gewähren. Er war ein ruhiger Gast und störte den Frieden des Konvents nicht, deshalb hieß man ihn willkommen und überließ ihn sonst sich selbst. Im Gegensatz zu seiner Zeit im Konvent Sant’ Angelo, wo er so viele Stunden lang vor dem Altar der Kapelle ausgestreckt gelegen hatte, blieb Thomas in Frankfurt in seiner Zelle und zog es vor, in aller Einsamkeit zu beten.
Zu beten und nachzudenken.
Das Böse ging um und es besaß die Gestalt der Geschöpfe Satans, Dämonen, welche die Herrschaft an sich reißen wollten, indem sie die Menschen dazu brachten, sich von Gott abzuwenden. Das Böse war in den Jahren seit Wynkyn de Wordes Tod unendlich viel schlimmer geworden, Jahre, in denen niemand Beschwörungsformeln gesprochen hatte, um die Tore der Hölle zu öffnen, und die Dämonen dorthin zurückzuschicken.
Nun war es an Thomas, dem Auserwählten Gottes, Wynkyn de Wordes Platz einzunehmen und das Übel auszurotten.
Alles, was er brauchte, war de Wordes Buch.
Aber war es auch noch unversehrt? Die Dämonen wussten von seiner Existenz, doch der Dämon hatte gesagt, dass sie es nicht öffnen und ihm nichts anhaben konnten.
Konnte er den Worten eines Dämons trauen?
Warum war er so mitteilsam gewesen? Er hatte Thomas nicht nur berichtet, dass er und die Seinen über das Buch Bescheid wussten, sondern er hatte ihm auch erzählt, dass der Mönch eine Prüfung zu bestehen habe, von der das Schicksal der Menschheit abhing.
»Entscheidet Euch für einen Weg, und Gott wird siegen, entscheidet Euch für einen anderen, und wir werden die Erde überfluten und sie uns Untertan machen.«
Und diese Prüfung würde eine Frau sein. Eine Frau, die nun mit seinem Kind schwanger war, wenn der Dämon die Wahrheit gesagt hatte. Eine Frau – eine Hure –, der er seine Seele auf einem silbernen Tablett darreichen und die ewige Verdammnis der Welt in Kauf nehmen würde, wenn er dadurch ihre Liebe errang.
Nein. Niemals. Wann immer er daran dachte, schüttelte Thomas den Kopf. Nicht einmal die Schuld, die er Alice wegen empfand, konnte ihn dazu bringen, das zu tun. Diese Schuld machte ihn stärker, nicht schwächer. Entschlossener. Das hatte der heilige Michael ihm gesagt. Er würde nicht die Erlösung der Menschheit für die Liebe einer Frau opfern. Er hätte es für Alice nicht getan, und er würde es ganz sicher nicht für eine Frau tun, die mit Dämonen im Bunde war, wie schön sie auch sein mochte. Er konnte keine Liebe empfinden, die größer war als seine Liebe zu Gott, keine Treue, die stärker wäre als die, die er Gottes Engeln entgegenbrachte. Er würde Gott nicht für irgendeine Frau verraten, die durch dämonische Täuschung und Hexerei sein Kind empfangen hatte. Für Alice hatte er sich verantwortlich gefühlt und tat es immer noch, aber nicht für diese Frau.
Gott würde siegreich sein, nicht die Dämonen… doch was mochten sie nur im Schilde führen?
Eines beunruhigte Thomas ganz besonders. Er begann zu vermuten, dass die Dämonen nach Belieben ihre Gestalt wechseln konnten. Die beiden, denen er begegnet war, hatten ganz sicher ein Aussehen angenommen, das sich von ihren abscheulichen, missgestalteten Körpern unterschied. Er war außerdem zu dem Schluss gelangt, dass die Dämonen ihn genau beobachtet haben mussten, denn sie wussten über seine Pläne und Reiseroute Bescheid. Wahrscheinlich hatte er sich sogar schon mehrmals mit Dämonen unterhalten… ohne es zu wissen. Was, wenn sich die Dämonen unter die Menschen mischen konnten? Könnte er einen Dämon von einem wahren
Weitere Kostenlose Bücher