Hueter Der Macht
und Thomas wusste, dass in dieser Nacht Dämonen unterwegs sein würden.
Er musste eine Unterkunft finden.
Als die Abenddämmerung herannahte und Thomas noch immer keine gefunden hatte, tauchte im Zwielicht ein Dorf vor ihm auf. Ein gut gekleideter Bauer stand vor einem der ersten Häuser – fast schien es, als hätte er ihn erwartet – und grüßte Thomas freundlich.
»Ich danke Euch für Euren Gruß, guter Mann«, sagte Thomas in tadellosem Französisch; wie alle englischen Adligen sprach er ebenso fließend Französisch wie Englisch. »Könnt Ihr mir sagen, wo ich bin? Ich wollte noch vor Anbruch der Nacht in Saint Urbain sein, aber…«
Der Mann lachte gutmütig. »Ach, mein Freund, nach Saint Urbain habt Ihr noch mehrere Tageritte vor Euch. Ihr befindet Euch in Domremy.«
Er streckte die Hand aus und Thomas schüttelte sie.
»Mein Name ist Jacques d’Arc«, sagte der Mann, und Thomas lächelte, denn die Berührung des Mannes vermittelte ihm mehr Trost, als er in den gesamten letzten Wochen verspürt hatte.
»Und«, fügte Jacques d’Arc hinzu, »meine Tochter Jeannette hat mir heute Morgen gesagt, dass Ihr bei Sonnenuntergang eintreffen würdet. Wollt Ihr mit uns zu Abend essen, Herr?«
Domremy war ein kleines, bescheidenes Dorf und das Haus der d’Arcs war eine ebenso einfache, kleine Hütte, doch sie war gepflegt und sauber. Neben dem Haus befanden sich ein Heuhaufen und ein Eimer Wasser. D’Arc band Thomas’ Wallach an einen Pfosten in der Nähe und bedeutete einem Jungen, der aus dem Haus kam, sich um ihn zu kümmern.
Im Inneren des Hauses, das nur über einen Raum verfügte, prasselte ein fröhliches Feuer, ein Topf voll Getreidesuppe brodelte an einem Dreifuß darüber. Eine Frau drehte sich vom Feuer um, als sie eintraten, und d’Arc stellte sie als seine Gattin Zabillet vor.
Doch Thomas wandte sich rasch dem fünfzehn- oder sechzehnjährigen Mädchen zu, das aus einer der dunklen Zimmerecken aufgetaucht war. Es war ein typisches Bauernmädchen, gekleidet in grobe, geflickte Gewänder und nicht besonders groß. Ihr Körper und ihre Glieder waren muskulös und kräftig von den vielen Stunden, in denen sie ihrer Mutter bei der Hausarbeit und ihrem Vater auf dem Feld geholfen hatte. Ihr dickes, dunkelbraunes Haar ging ihr bis zu den Schultern, und ihr Gesicht war ebenso grob und einfach wie die Bauernhütte selbst.
Doch es waren ihre braunen Augen, die Thomas’ Aufmerksamkeit auf sich zogen. Sie waren so friedlich und gefasst und so wissend, dass sich Thomas fragte, was für eine Seele in dem Körper dieser jungen Bäuerin wohl wohnte.
Wer war sie?
»Das ist meine zweite Tochter und mein viertes Kind«, sagte d’Arc, und Thomas richtete den Blick wieder auf den Vater und wunderte sich über den leicht erstaunten Ton in der Stimme des Mannes. »Ihr Name ist Jeannette.«
D’Arc blinzelte, als er seine Tochter betrachtete, und Thomas wurde bewusst, dass d’Arc ebenso überrascht über die Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit seiner Tochter war wie er.
Jeannette war kein gewöhnliches heranwachsendes Bauernmädchen, das albern und scheu und dann wieder frech und unhöflich sein konnte, das nur an die Arbeit des nächsten Tages dachte oder daran, welchen Dorfjungen es in sein Bett und schließlich in die Ehe locken konnte.
»Dein Vater sagte, du wusstest, dass ich kommen würde, Jeannette«, sagte Thomas.
Sie nickte und lächelte, sagte jedoch nichts, sondern ging zu ihrer Mutter hinüber, um ihr bei der Verteilung des Essens zu helfen, als ihre ältere Schwester und zwei Brüder von der Arbeit zurückkehrten.
Die Mahlzeit wurde größtenteils schweigend eingenommen, doch Thomas fühlte sich dabei nicht im mindesten unbehaglich. Ebenso wie ihr Haus strahlte die Familie d’Arc eine allumfassende Freundlichkeit aus, auch wenn Jeannette so offensichtlich ungewöhnlich war.
Schließlich erzählte d’Arc ein wenig von sich und seiner Familie. Er war nicht in Domremy geboren worden, sondern war von Ceffonds in der Champagne in das Dorf gekommen, um Zabillet zu heiraten. Trotzdem war d’Arc in Domremy ein bedeutender Mann, denn er war der Doyen, oder Polizeimeister, des Dorfes, eine Stellung, die gleich nach der des Bürgermeisters und des Friedensrichters kam. Doch Thomas wusste, dass d’Arcs Stellung nicht einfach war, denn als Doyen war er auch für das Eintreiben der Steuern verantwortlich.
Während Zabillet und ihre beiden Töchter nach dem Mahl die Teller und Löffel wieder
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