Hueter Der Macht
bitte Euch. Das Böse geht tatsächlich um, aber wir werden siegreich sein.«
Thomas’ Augen wurden vor Argwohn noch schmaler. »Der heilige Michael hat zu dir gesprochen?«, fragte er.
Sie seufzte tief.
»Das ganze letzte Jahr hindurch. Er erscheint mir oft und ebenso die heilige Katharina und die heilige Margarete.« Jeannette hielt inne und ihre Hand berührte ihn sanft. »Er schenkt mir Trost, doch wenn er vom Feind spricht…«
Thomas wusste, dass sie Satan meinte… unter den Bauern wurde er oft der Feind genannt.
»… dann habe ich Angst.«
Thomas beugte sich vor und klopfte ihr auf die Schulter. »Fürchte dich nicht, Jeannette. Gott und der heilige Michael haben mich geschickt, um gegen das Böse zu kämpfen, das…«
»Aber ich soll auch kämpfen!«, rief Jeannette und zog ihre Hand zurück. »Gott hat auch zu mir mit der Stimme des heiligen Michael gesprochen und mir gesagt, was ich tun soll!«
Thomas’ ursprüngliche Überraschung verwandelte sich rasch in Zorn. Wie konnte der heilige Michael auch zu diesem unwissenden Bauernmädchen gesprochen haben? »Hat er dir von Wynkyn de Worde erzählt?«
»Von wem? Nein, er hat gesagt, dass mein Weg ein anderer sein wird als der Eure. Ich werde nicht so weit reisen und nicht in einer solch todbringenden Mission unterwegs sein.«
Sie hielt inne, und Thomas hatte den Eindruck, dass sie von unendlicher Trauer erfüllt war.
»Obwohl«, fuhr Jeannette fort, »auch meine Mission schrecklich genug sein wird. Das Böse weilt in diesem schönen Land in Gestalt eines englischen Soldaten, und das Böse muss vernichtet werden. Die Engländer müssen aus Frankreich vertrieben werden!«
Thomas war beunruhigt über die Heftigkeit, mit der das Mädchen gegen die Engländer wetterte. War dies lediglich ihr französisches Erbe, das aus ihr sprach? Die Engländer waren Eindringlinge, stellten sie deshalb für sie das Böse dar?
»Das Böse ist überall, Jeannette, und wir müssen es bekämpfen, wo wir nur können. Es mag die Gestalt eines englischen Soldaten annehmen, das ist wahr, doch oft kann es auch das Gewand eines Hausierers tragen oder…«
»Es gibt kein größeres Übel als den englischen König«, sagte Jeannette leise, aber mit so viel Nachdruck, dass Thomas zutiefst beunruhigt war.
Selbst wenn er es nicht glauben wollte, musste er doch annehmen, dass der Erzengel Michael auch zu diesem Mädchen gesprochen hatte. Jeannette strahlte einen solchen Frieden und eine solche Entschlossenheit aus, dass Thomas wusste, dass sie vom Himmel selbst gesegnet war. Dennoch schränkten ihre bäuerliche Unwissenheit und Engstirnigkeit offensichtlich ihre Urteilskraft ein, und Thomas fragte sich, ob sie so nützlich sein würde, wie der heilige Michael annahm.
Für einen Krieg brauchte man starke Männer, gottesfürchtige Männer, und keine ungebildeten Bauernmädchen.
Und zu wie vielen hatte der Erzengel sonst noch gesprochen? Sollte Thomas Gottes Streiter gegen die Dämonen führen… oder wollte der heilige Michael lediglich, dass er einer von vielen Hauptleuten war?
»Der englische König spricht mit der Stimme des Bösen«, sagte Jeannette. Sie hatte Thomas’ Hand losgelassen und sich ein wenig zurückgelehnt. Ihre Stimme klang, als hätte sie diese Worte schon oft gesagt – als wäre der Glaube daran so fest in ihr verankert, dass ihn nichts erschüttern konnte. »Er ist bis ins Innerste verdorben. Seine Armeen müssen besiegt und er verbrannt werden, damit seine Verderbtheit nicht andere ansteckt…«
»Eduard ist ein alter Mann«, sagte Thomas mit harter Stimme, »und wird wohl niemanden mehr mit irgendetwas anstecken. Außerdem ist es nicht Eduard, der die englischen Armeen anführt, sondern sein Sohn, Eduard, der schwarze Prinz.«
»Eduard?«, sagte Jeannette. »Eduard? Ich spreche nicht von Eduard, weder Vater noch Sohn, sondern von dem jungen König. Dem unbekümmerten jungen Mann.«
Thomas’ früherer Verdacht über die Unwissenheit des jungen Mädchens wurde nun bestätigt. »Mein liebes Kind, der englische König heißt Eduard, und sein Sohn trägt denselben Namen, und wenn der ältere Eduard stirbt, wird der jüngere Eduard sein Nachfolger sein. Keiner von beiden ist sonderlich jung… und schon gar nicht ›unbekümmert‹. Es gibt keinen ›jungen‹ König. Auf viele Jahre hin nicht.«
»Ihr glaubt mir nicht«, sagte Jeannette und rückte noch weiter von ihm ab. »Doch was ich Euch erzählt habe, hat mir der heilige Michael selbst
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