Hueter Der Macht
drängten sich Soldaten, vermutlich waren es die, hinter denen Thomas schon den ganzen Tag hergeritten war. Sie waren von ihren Pferden gestiegen, auch ein großer, kräftig gebauter Ritter war darunter, der eine Halsberge aus Kettenpanzer trug, mit einer kugelförmigen Kesselhaube ohne Visier auf dem Kopf. Seine Arme und Beine wurden von weißen Plattenpanzern geschützt, die glitzernd das Sonnenlicht zurückwarfen, wenn er sich bewegte.
Sein Schwert war gezogen und er gestikulierte wütend in Richtung seiner Soldaten, die, während Thomas sich näherte, fieberhaft die Dorfgebäude zu durchsuchen begannen.
Es waren nirgendwo Bauern zu sehen… und Thomas wurde schon bald klar, warum.
In der Mitte des Angers war ein großes Feuer entfacht worden, und über diesem befand sich ein Spieß, auf dem der verkohlte Leichnam eines Menschen steckte.
Daneben waren Tote aufeinander gehäuft, Thomas konnte jedoch noch nicht erkennen, wer sie waren.
Der Ritter hob den Kopf, als Thomas sich ihm auf dem Anger näherte.
Als er Thomas’ Habit sah, winkte er die Soldaten beiseite, die sich sofort um ihn geschart hatten, senkte sein Schwert und trat mit einem kaum verhohlenen Ausdruck der Erleichterung auf ihn zu.
»Bruder!«, rief er, und seine raue Stimme verriet, dass heftige Gefühle in ihm tobten: Schrecken, Ekel und unbeschreibliche Wut.
Thomas konnte ihn weder ansehen, noch brachte er ein einziges Wort heraus.
Er konnte nur die ekelerregende Szene betrachten, die sich ihm bot.
Es war weniger der Tote, der auf dem Spieß steckte – aus der Nähe konnte Thomas sehen, dass es ein Mann war –, als vielmehr der kleine Leichenberg daneben.
Frauen und Kinder. Die beiden erwachsenen Frauen waren nackt und ihre Beine mit Blut bedeckt. Offenbar waren sie und die drei jungen Mädchen brutal vergewaltigt worden.
Die Frauen waren durch Holzpfähle zu Tode gekommen, während die Mädchen offenbar ihren inneren Blutungen erlegen waren.
Das jüngste Kind lag halb unter dem Körper eines der älteren Mädchen.
Die Kinder trugen immer noch Fetzen ihrer Kleider und daher wusste Thomas, dass sie keine Bauernkinder waren, sondern von adliger Herkunft.
»Bruder«, flüsterte der Ritter erneut und streckte zitternd die Hand nach ihm aus. »Bruder?«
Thomas zwang sich, den Blick von dem Blutbad abzuwenden und den Ritter anzusehen.
Dem Mann strömten Tränen über das dunkle Gesicht. Er rang um Worte und musste schlucken, ehe er etwas herausbrachte.
»Bruder… Bruder, bitte, sie brauchen Eure Hilfe.«
Thomas stieg langsam ab, seine Augen zuckten zwischen dem Feuer, den Frauen und Kindern und dem Ritter hin und her.
»Wie…?«, stammelte Thomas, als er schließlich von seinem Pferd gestiegen war. »Und wer? Warum?«
Der Ritter schüttelte den Kopf und breitete hilflos die Arme aus. Er schien keine Antwort darauf zu haben.
Thomas schickte ein rasches Stoßgebet zu allen Heiligen des Himmels hinauf, dass der Mann über dem Feuer bereits tot gewesen war, bevor seine Mörder zu ihrer letzten grausamen Tat geschritten waren.
»Er heißt Sir Hugh Lescolopier«, sagte der Ritter, der zu Thomas getreten war. »Und das«, er wies auf eine der Frauen, »ist seine Gemahlin Marie, und dort seine Schwester Beatrice und seine drei Töchter. Dies ist Hughs Land. Sein Haus steht hinter den Gemeindefeldern.«
Thomas blickte nicht zu dem Haus in der Ferne hinüber. Er konnte nur die Toten anstarren.
»Wer kann so etwas getan haben?«, fragte Thomas.
Der Ritter spuckte auf den Boden. »Wer? Na, wer schon? Seine abscheulichen Bauern, diese Hundesöhne, haben es getan! Schaut es Euch nur genau an!«
Thomas bekreuzigte sich, schloss die Augen und betete still.
Der Ritter trat neben ihn und als er sprach, war seine Stimme dumpf vor Hass und Trauer. »Ich bin Gilles de Noyes«, sagte er, »und Marie war meine Schwester.«
Thomas drehte sich um und starrte den Mann an. De Noyes blickte auf den geschändeten Leib seiner Schwester hinab, und in seinem Gesicht lagen Trauer und Rachedurst.
Auch Thomas stellte sich vor und fügte hinzu: »Gott wird sich an ihren Mördern rächen.«
»Nicht, bevor ich mich an ihnen gerächt habe!«, sagte de Noyes, und er hätte noch mehr hinzugefügt, doch da bewegte sich etwas auf dem Boden vor ihnen.
Thomas starrte entsetzt auf die Leichen hinunter, beinahe überzeugt davon, dass die tote Marie sich aufrichtete und mit kalten, toten Fingern auf die Stelle wies, an der sich ihr Vergewaltiger und Mörder
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