Hueter Der Macht
versteckte.
Aber es war weder Marie noch Lady Beatrice.
Es war eine Ratte, die über das Bein des jüngsten Mädchens lief.
Ohne nachzudenken, beugte de Noyes sich vor, hob das tote Kind hoch und schlug nach der Ratte, die davonlief.
»Ist das Mädchen noch am Leben?«, fragte Thomas. Er hoffte es nicht. Es wäre besser für sie, wenn sie tot wäre.
»Nein«, murmelte de Noyes. »Sie kann das, was ihr angetan wurde, nicht überlebt haben.« Er hob den Kopf und blickte Thomas an, sein Gesicht war vor Grauen so verzerrt, dass es wie das eines alten Mannes wirkte.
Thomas versuchte, einen Blick auf das Mädchen zu erhaschen, doch der Ritter hielt es so fest an seine Brust gedrückt, dass es Thomas nicht gelang.
»Gilles, mein Freund, vielleicht können wir…«
»Rührt sie nicht an! Ach, Thomas, es tut mir leid, aber ich erinnere mich noch, wie ich dieses Mädchen am letzten Weihnachtsfest im Arm gehalten habe. Sie konnte damals noch kaum laufen und lachte und kicherte so unbeschwert, als hätte sie nicht die geringsten Sorgen. Warum musste das geschehen, Thomas? Warum nur?«
Thomas machte eine hilflose Handbewegung. »Gottes Wille…«
»Zum Teufel mit Gottes Willen!«, schrie de Noyes. »Wie kann Gott so etwas zulassen? Sagt mir das, Mönch!«
Noch bevor Thomas etwas erwidern konnte, ertönte hinter einer der Hütten ein Schrei, und mehrere von de Noyes’ Soldaten kamen hervor und schleppten einen Mann mittleren Alters mit sich.
De Noyes röstete den Mann ebenso über dem Feuer, wie Lescolopier geröstet worden war. Er benutzte sogar denselben Spieß, mit dem Lescolopier aufgespießt worden war. Doch er band ihn mit Ketten daran, anstatt ihm den Spieß durch den Leib zu treiben, denn er wollte, dass der Mann noch ein Weilchen am Leben blieb. De Noyes briet ihn so lange über dem Feuer, bis der Mann ihm das Versteck der anderen Dorfbewohner verriet.
Thomas stand die ganze Zeit schweigend daneben, die Leiche des Mädchens auf den Armen. De Noyes hatte sie ihm erst überlassen, als er sicher gewesen war, einen ihrer Mörder gefangen zu haben.
Schließlich, als de Noyes und die Soldaten gegangen waren, um die anderen Dorfbewohner herbeizuschaffen, ging Thomas ruhig zu den toten Frauen und Kindern und dem verbrannten Leichnam Lescolopiers hinüber und begann mit den alten christlichen Ritualen, um ihre Seelen Gottes Gnade zu überantworten.
Die Lescolopiers würden in den Himmel kommen, während ihre Mörder unweigerlich in der Hölle schmoren würden.
De Noyes und seine Soldaten kehrten bei Sonnenuntergang zurück. Sie führten neun gefesselte Männer und drei Frauen mit sich, die wild schrien und fluchten.
Dem Rest war es gelungen, zu fliehen, bevor ihr Versteck entdeckt worden war. De Noyes bedauerte das sehr.
»Kümmert Euch zuerst um die Leichen der Unschuldigen«, murmelte Thomas, als de Noyes müde absaß. »Ich habe ihnen bereits das letzte Geleit gegeben, und wir können sie morgen auf dem Friedhof begraben.«
De Noyes nickte. »Ich danke Euch für Eure Anwesenheit und Hilfe, Bruder«, sagte er. »Ohne Euch wären ihre Seelen sicher im Fegefeuer gelandet.«
»Es muss doch auch einen Priester in der Nähe geben.« Thomas wurde mit einem Mal klar, dass er gar nicht mehr an den Geistlichen gedacht hatte, der normalerweise in dem Haus neben der Kirche wohnen müsste.
De Noyes schüttelte den Kopf, beinahe zu erschöpft, um zu sprechen. »Später«, sagte er. »Wenn wir Zeit haben, uns auszuruhen und zu essen. Habt Ihr dem Mädchen ebenso die Sterbesakramente gegeben wie den anderen?«
»Ja. Sie wird mit Sicherheit in den Himmel kommen.« De Noyes nickte. »Ihr werdet morgen früh den Trauergottesdienst für sie abhalten.«
Nachdem die Leichen von Lescolopier, seiner Frau, ihren Kindern und Lady Beatrice gewaschen und in Leinentücher gehüllt worden waren, die einer der Soldaten aus dem Herrenhaus geholt hatte – zusammen mit dem Verwalter und zwei Dienstboten, die sich während des grauenhaften Geschehens in der Vorratskammer des Hauses versteckt hatten –, wandte de Noyes seine Aufmerksamkeit wieder den Bauern zu.
Er fragte sie nach den Gründen für ihre Brutalität.
Keiner von ihnen antwortete, sie starrten de Noyes im flackernden Fackelschein nur mit rebellischen, starren Gesichtern an.
De Noyes fragte sie noch einmal.
Immer noch kam keine Antwort.
De Noyes seufzte und nickte seinem Feldwebel zu.
Die drei Frauen wurden beiseitegezerrt und fluchten laut, während sie
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